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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
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eigenem Thema – Rot, Blau, Grün, Indigo, Butterblümchen, Rosen, Wolken … Überall finden sich Spuren des Kampfes, des Todes. Auf dem Boden einer Vorschule sollte niemals Blut sein, aber hier klebt es auch an Wänden und Decken, ist in jede Richtung verspritzt, als ob Jackson Pollock einen tagelangen Anfall gehabt hätte. Innenausstattung gestaltet von Ed Gein.
    Seit Ned die Pistole hat, lasse ich ihn vorgehen. Jedes Mal, wenn wir einen Klassenraum betreten, bemächtigt sich meiner ein krank machender Schub von Angst. Ständig erwarte ich, dass hinter den umgekippten Schultischen und Ministühlen irgendwelche Schrecken hervorbrechen. Doch niemand fällt über uns her. Im Flur gibt es nichts, worauf man besonders achten müsste, aber weit weg, vom Ende des Flures, höre ich ein befremdliches Geräusch, das entfernt wie eine Trommel klingt.
    »Kumbaya in der Klapsmühle«, murmelt Ned kopfschüttelnd vor sich hin. Wir haben das Ende des Korridors fast erreicht und beginnen jetzt, die Räume sorgfältiger zu durchsuchen, fahnden nach jeder kleinsten Spur von Mikey und Evan. Ich möchte so gern glauben, dass sie wohlauf sind, doch die leeren Flure und dieses merkwürdige, pulsierende Trommeln, das nicht aufhört, erfüllen mich mit Schrecken.
    »Bist du okay?«, fragt Ned.
    »Ich? Ja, schon. Warum?«
    »Du … du atmest nur unglaublich schwer. Sonst nichts.«
    »’tschuldigung. Lungenschmerzen.«
    »Du bist schon ein richtiger Glückspinsel.«
    »Glücks bürste , wenn schon.«
    »Du weißt, was ich meine.«
    Wir erreichen eine Gabelung, an der zwei Flure in entgegengesetzte Richtungen abzweigen. Es riecht, als ob etwas verbrennt, nicht der angenehme Holzrauchgeruch, dem man im Herbst begegnet, sondern ein scharfer, bitterer Geruch wie brennendes Plastik oder versengtes Haar. Es dringt vom Ende eines der Flure durch eine große stählerne Doppeltür, die aussieht, als ob sie zu einer Kantine oder einer Sporthalle führt. Das entfernte, hallende Wummern der Trommeln und die Leere des Flures machen mich nervös und panisch. Aufgeregt spähe ich in alle Richtungen, während wir uns leise darüber zu einigen versuchen, welchen Weg wir einschlagen sollen.
    »Komm, lass uns da langgehen. Wenn wir hinter diesen Türen keine Kinder finden, kehren wir um«, sage ich. Ned schwitzt, ein dunkler Ring hat sich unter dem Kragen seines T-Shirts gebildet, sein messingfarbenes Haar klebt an den Schläfen.
    Ich weiß nicht, was es mit Vorschulen auf sich hat, aber sie sind seltsam. Besonders wenn die verrückte Unruhe wütender Seelen um einen herumflackert. Warum sind kleine Kinder so ängstlich? Sie sind nur Kinder. Vielleicht liegt es an unserer Erwartung, sie müssten unschuldig und rein sein. Wird diese Erwartung korrumpiert, winden sich die Erwachsenen, als säßen sie auf einem Haufen Schlangen. Es gibt hier keine Teufelskinder, aber die unleugbare Präsenz von Augen, vielen Augen, die uns angespannt beobachten.
    Wir prüfen weitere Türen, unsere Bewegungen werden schneller, fahriger, während unsere Verzweiflung wächst. Noch klammern wir uns an die Hoffnung, Evan und Mikey zu finden. Ich spüre, wie Ned immer nervöser wird, und weiß, dass er sich fragt, ob Molly uns nicht einen Haufen Dreck erzählt hat. Der Rauch und der Geruch verursachen Brechreiz, dunkler, äscherner Nebel liegt in der Luft. Wir durchsuchen einen leeren Raum nach dem anderen, Spinde und Gerätekammern. In einem Lehrerzimmer kurz vor den großen Stahltüren, die geschlossen sind und durch deren Ritzen an Decke und Boden der Rauch und der üble Geruch hervorquellen, finden wir Mikey und Evan.
    »Daddy!«
    Ein himmlischer Klang, so einfach, doch so voller Erlösung und Freude, dass einem das Herz hüpft. Die Jungs umarmen mich, nachdem sie sich ihrem Vater entwunden haben. Neds Gesicht ist nass, und er wendet sich ab, um die Tränen von seinen Wangen zu wischen. Die Jungs sind ein bisschen dreckig und haben Schürfwunden, sind aber ansonsten gesund. Es scheint so, als hätte Corie zu guter Letzt doch noch einen Rest Verstand bewahrt.
    »Geht’s euch beiden gut?«, frage ich.
    »Mama sagt, wir müssen hierbleiben«, erklärt uns Mikey. Er sagt das so voller Schuldgefühl und Zweifel, dass Ned sich fast wieder abwendet.
    »Es ist alles in Ordnung. Wir bringen euch hier raus«, verspreche ich und wuschele Evan durch sein weiches Haar. »Dein Vater erlaubt es.«
    »Aber Mama wird verrückt«, protestiert Evan und schlingt die Arme um die Knie seines

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