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Sie nennen es Leben

Titel: Sie nennen es Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Pilarczyk
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sich anlegen und sich mit anderen Mitgliedern vernetzen. Doch das sind nur die einfachsten Einstellungen.
    In den Rubriken » Fanart « , » Dojinshi « , » Fanfiction « und » Cosplay- und Conventionfotos « kann man bei Animexx eigene Bilder, Texte und Zeichnungen hochladen, und das tun die Mitglieder leidenschaftlich gern. Das Fanart-Archiv besteht nach Angaben von Animexx aus über 900 000 Bildern, die Fanfiction (also von Fans weitererzählte oder neu erfundene Geschichten von bestehenden Animes) umfasst über 100 000 Einträge, zu Cosplay und Conventions sind sogar knapp fünf Millionen Fotos hochgeladen.
    Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint: Animexx ist kein herkömmliches Social Network wie SchülerVZ oder Facebook. Es funktioniert vollkommen anders. Hier treffen sich nämlich nicht User, die mit ihren Freunden über Mitschüler und den Schulalltag chatten. Hier treffen sich Fremde.
    Wie man »Fern-Freunde« findet
    Jasper trägt seine braunen Haare in einem spitz zulaufenden Pony, der fast bis an sein Kinn reicht. Das Baseball-Cap ist tief ins Gesicht gezogen. » Manchmal benutze ich auch Kajal oder Make-up « , sagt der 13 -Jährige. Er hört gern J-Rock von Bands wie An Cafe oder Gazette, ordnet sich selbst aber nicht Visual Kei zu. » Ich bin scene « , sagt er. Um zu verstehen, was scene ist, empfiehlt er, bei der Google-Bildersuche den Namen » Sam Llansing « einzugeben. » Da kriegst du 30 Seiten voll mit Bildern von seinen krassen Frisuren. «
    Jasper hat unbegrenzten Zugang zum Internet und nutzt diesen sehr kreativ. Mit seiner Band nimmt der Realschüler Videos auf und stellt sie bei YouTube ein. Seine Lieblingsserie » How I met your mother « schaut er online. Außerdem hat er Profile auf MySpace, SchülerVZ und Facebook. Diese nutzt er vor allem, um sich mit Jugendlichen, die seine Interessen teilen, auszutauschen. Viele davon kennt er nicht persönlich. » Fern-Freunde « nennt er diese Kontakte. » Mit den Mädchen rede ich vor allem über Musik und Mangas « , sagt Jasper. » Mit den Jungen über Haare und Skateboard. «
    Dass Jasper Kontakt mit Fremden übers Internet pflegt, ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Galt bislang, dass Jugendliche nur Bekannte im Internet suchen und treffen, ändert sich dieses Muster, wenn ein anderes Ziel hinter der Nutzung steckt.
    In herkömmlichen Social Networks wie Facebook steht die Kommunikation im Vordergrund. Hier kommen starke Bindungen zum Tragen, weil man vor allem den Austausch mit Freunden und Bekannten über persönliche Dinge sucht. Soziologen sprechen in diesem Fall auch von » bindendem Kapital « , das hier einwirkt: Bereits bestehende Gruppen werden in ihrem inneren Zusammenhalt gefestigt.
    In Fan-Communities wie Animexx steht aber die Information im Vordergrund. Hier sucht man nach Usern, mit denen man seine Interessen teilt und sich über sachliche Dinge austauschen kann. Bei diesem Nutzungsmuster kommen schwache Bindungen zum Tragen– beziehungsweise » überbrückendes Kapital « : Durch geteilte Interessen entstehen Verbindungen zwischen Individuen, die sich vorher nicht kannten. In diesem Fall verwirklicht sich das utopische Potenzial des Internets und tatsächliche Grenzüberschreitungen finden statt– zum Beispiel zwischen japanischen und deutschen Jugendlichen, wenn sie gemeinsam an » fansubs « arbeiten. Da Jugendliche das Internet aber meist nur zur Kommunikation nutzen, kommt es eher selten zu solchen Verbindungen.
    Steht die Informationsbeschaffung im Vordergrund, treffen Jugendliche auf andere Kontakte im Internet, als wenn sie ausschließlich kommunizieren wollen. Die Ausschnitthaftigkeit, die ihre Nutzung oft prägt, verschwindet. Stattdessen schöpfen sie aus der Bandbreite an Informationen und Kontaktmöglichkeiten, die das Internet jenseits von SchülerVZ oder Facebook bereithält. Dieses erweiterte Nutzungsmuster lässt sich auch bei politisch interessierten Jugendlichen beobachten. Sie wissen, wie man über Twitter am Weltgeschehen teilhaben kann, und bilden sich ihre eigene Meinung anhand von Blogs aus aller Welt. Von einer Twitter-Revolution kann bei aller Euphorie trotzdem nicht die Rede sein.

9. Aus dem Netz auf die Straße? Das Verhältnis von Politik und Internet
    Paul hat im Sommer 2010 Abitur gemacht, jetzt steht für den 18 -Jährigen

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