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Sie nennen es Leben

Titel: Sie nennen es Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Pilarczyk
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wen sprachen die Punks also– die Arbeiterklasse? Die Unterschicht? Die Jugend allgemein?
    Eine Antwort darauf gab es nicht. Doch die brauchte es auch nicht, denn der Do-It-Yourself-Charakter des Punks hatte sich längst auf Subkulturen allgemein übertragen.
    Zu welcher Szene man gehörte, entschied man jetzt selbst– und nicht die soziale Herkunft. Ob Gothic, Hardcore oder House war zu einer Frage des Mode- und Musikgeschmacks geworden. Damit veränderten sich Subkulturen grundlegend, denn Mode- und Musikgeschmack und damit auch die Szene ließen sich schnell wechseln. Diese neue Durchlässigkeit war für viele befreiend. Wer von Punk auf Synthie-Pop kam, verriet schließlich nicht mehr seine Klassenzugehörigkeit, sondern höchstens seine Stilsicherheit. Sie führte aber auch zu einer gewissen Beliebigkeit, denn politische Forderungen und Bekenntnisse waren bestenfalls noch andockbar an die neuen Subkulturen; zentrale Bedeutung hatten sie nur noch in den seltensten Fällen. Als Techno Anfang der 19 90 er Jahre schließlich der Durchbruch gelang, setzte sich die Feiergemeinschaft aus allen gesellschaftlichen Schichten zusammen. Dance-Musik in den 90 er Jahren » war ein ästhetischer Underground, kein politischer « , konstatiert der britisch-amerikanische Musikjournalist Simon Reynolds ernüchtert.
    Im Vergleich mit anderen Subkulturen kann man Visual Kei deshalb nicht vorwerfen, es wäre besonders inhaltsleer. Vielmehr ist seine optische Fixiertheit Ausdruck der allgemeinen Entwicklung von Subkulturen hin zu Stilgemeinschaften. Wahrscheinlich faszinieren die exaltierten Kostüme, der Pathos der Musik und das Spiel mit den Geschlechterrollen deshalb Fans auf der ganzen Welt.
    Eine » de-territorialisierte Medienkultur « nennt der Jugendforscher Höhn Visual Kei deshalb auch. » De-territorialisiert « , weil sie an kein spezielles Land oder Stadtviertel mehr gebunden ist, um gelebt zu werden; und » Medienkultur « , weil der Austausch über Medien so zentral für die Szene ist.
    Dennoch gibt es deutliche Unterschiede, wie Visual Kei in einzelnen Ländern adaptiert wird. » In Deutschland ist die Szene klar von Mädchen dominiert « , sagt Nadine Heymann. » In Frankreich scheint das Geschlechterverhältnis eher ausgeglichen zu sein. « Die Ethnologin arbeitet ehrenamtlich im Berliner Archiv der Jugendkulturen. Dort werden Jugendliche, die das Archiv nutzen, gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, welcher Szene sie sich selbst zuordnen. Als immer mehr Jugendliche » Visual Kei « angaben, hatte Heymann das Thema ihrer Doktorarbeit gefunden.
    Sie glaubt, dass die verschiedenen Adaptionen von Visual Kei von Land zu Land erst möglich waren, weil die Szenen so lange nicht von den Massenmedien wahrgenommen wurden. » Das war eine langsame, geschützte Entwicklung « , sagt Heymann. Aus ihren Beobachtungen der Szene weiß sie: Die Jugendlichen, die erst aus den traditionellen Medien von Visual Kei erfahren haben, gelten als Trittbrettfahrer. Weil die » Bravo « als erste Mainstream-Zeitschrift über VK berichtete, werden sie auch » Bravo-Visus « genannt.
    Die Szene findet aber nicht ausschließlich im Internet statt. Am wichtigsten sind Visual-Kei-Treffen (kurz: ViT). ViTs werden privat organisiert und haben kein festes Programm. Musik steht in jedem Fall im Mittelpunkt, oft gibt es noch Stände mit Mangas und Anime-DVDs, auch Kochkurse können Teil eines ViT sein. Darüber hinaus gibt es mehrere große sogenannte Conventions, eine Mischung zwischen kommerzieller Messe und Fantreffen. Die größte Convention ist die Connichi, die jährlich in Kassel stattfindet. 2010 kamen an den drei Messetagen insgesamt über 15 000 Besucher. Zum Programm gehörten unter anderem Signierstunden von berühmten Mangaka, also Manga-Zeichnern, Screenings von Animes und Kartenspieltourniere. Bei verschiedenen Cosplay-Wettbewerben traten Fans in aufwendigen selbst geschneiderten Kostümen gegeneinander an. Vom Schlürf-Wettbewerb mit japanischen Nudelsuppen gibt es mehrere Videos auf YouTube.
    Organisiert wird die Connichi von Animexx.de, dem wichtigsten Online-Portal für Anime-, Cosplay- und Mangafans in Deutschland. Animexx.de wurde 2000 gegründet, mittlerweile hat das Portal über 100 000 registrierte Mitglieder. Wie bei einem regulären Social Network können Animexx-Mitglieder ein Profil von

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