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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Strzoda
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Kaffeefleck kamen nun noch schwarze Schmutzstreifen auf beiden Oberschenkeln.
    »Mein Name ist Adolf Otto, und ich will mit Ihnen mitkommen.«
    »Was soll das heißen, Sie wollen mit?«
    »Ich will nicht mehr zurück in dieses Heim. Ich will mit Ihnen mitfahren!«
    Lenny blickte mich an. Er musste nichts sagen: In seinem Gesicht las ich die Frage, die auch ich mir stellte: Was wollte der Opa von uns?
    »Sie können aber nicht mitfahren, Herr Otto.«
    »Warum nicht? Ich muss hier weg.«
    Der alte Mann begann fast zu weinen. Er schien absolut verzweifelt und hatte seinen einzigen Ausweg offenbar darin gesehen, sich von einem Rettungswagen »entführen« zu lassen, aber der Plan war gescheitert. Zwei Pflegerinnen des Heims betraten kurz darauf den Rettungswagen und nahmen Herrn Otto, der mir den Eindruck machte, bei klarem Verstand zu sein, wieder in Empfang. Das war das für Adolf Otto traurige Ende seines Fluchtversuches.
    Eine Viertelstunde später befanden wir uns auf dem Rückweg in Richtung Rettungswache.
    »Stell dir vor, wir hätten den nicht in dem Moment gesehen, wären in die Wache gefahren und hätten die Karre da abgestellt ... « Ich krempelte mir die Ärmel hoch.
    »... dann wären wir in der Zeitung gelandet.«
    »Rettungsdienstmitarbeiter entführen Heimbewohner ...«
    »Oder der Typ wäre ausgestiegen, und wir hätten noch nicht mal gemerkt, dass wir überhaupt jemanden mitgenommen haben.«
    »Oder wir wären im Anschluss zu einem anderen Einsatz gerufen worden. Und dort wäre dann Herr Otto zum Vorschein gekommen.«
    »Als Überraschungsgast ...«
    Einige Tage später hatten wir einen erneuten Einsatz in besagtem Altenheim. Als wir im Anschluss draußen vor der Tür standen, kam Herr Otto in seiner blauen Jacke herausgelaufen, strahlte uns an und lief auf Lenny zu, die Prinz-Heinrich-Mütze in der Hand.
    »Danke, Herr Sanitäter. Danke.«
    »Danke? Wofür?« Lenny war sichtlich irritiert.
    »Danke fürs Vorbeikommen.« Herr Otto schüttelte Lennys Hand, drehte sich um und begann nahtlos mit einer anderen Heimbewohnerin ein überschwängliches Gespräch über das schöne Wetter. Er wirkte jetzt ganz anders als einige Tage zuvor, als wir ihn das letzte Mal gesehen hatten.
    »Herr Otto hat eine sehr fortgeschrittene Demenz«, erklärte uns die Altenpflegerin, die sich mittlerweile zu uns gesellt hatte. »Tut mir leid, aber er weiß in einer Minute sicher nicht mehr, was er vorhin zu Ihnen gesagt hat.«
    »Das erklärt einiges«, meinte Lenny und zündete sich seinen Zigarillo an.
    Aber auch wenn Herr Otto an Demenz litt und sich kurze Zeit später nicht mehr an etwas oder jemanden erinnern konnte, hatte ich trotzdem das Gefühl, dass sich etwas verändert hatte. Ich war der Meinung, Herr Otto würde uns seitdem immer besonders herzlich begrüßen. Manchmal schien es mir sogar so, als würde er extra herauskommen, nur um uns die Hand zu schütteln und etwas zu uns zu sagen. Aber möglicherweise habe ich mich auch einfach getäuscht.

Algorithmus
    Unser Rettungswagen quietschte um die Ecke und bog in die Lessingstraße ein. Der Einsatz spielte sich in einer gelben Plattenbausiedlung mit braunen Flachdächern ab, in der die Arbeiter eines nahe gelegenennen Werks in den Sechziger- und Siebzigerjahren untergebracht worden waren. Geräusche wurden hier geschluckt. Mehr als irgendwo anders. Im Winter sah hier alles aus wie die heruntergekommene Gegend rund um das geborstene Kernkraftwerk in Tschernobyl kurz nach dem atomaren Super-GAU. Mittlerweile dienten die Wohnungen in dieser Straße überwiegend als Unterkunft für Bürger mit Migrationshintergrund.
    Da die Dächer über den Eingängen die Hausnummern verdeckten, fuhren wir auf der Suche nach unserem Einsatzort langsam die Straße entlang. Vor einem Eingang stand ein junges Pärchen, das Mädchen winkte uns zu.
    »Da ist es.« Lenny bremste. Noch während der Rettungswagen rollte, öffnete ich die Tür. Ich verließ das Auto, schnappte mir unseren Notfallrucksack und den Absauger und lief auf das Mädchen zu. Erst jetzt sah ich die Panik, die sich in ihren zarten, aber völlig überschminkten Gesichtszügen spiegelte.
    »Kommen Sie ... schnell! Ich glaube, sie atmet nicht mehr«, rief sie akzentfrei und fuchtelte wild mit ihren Armen.
    »Wohin müssen wir?«
    »Sechster Stock. Sie liegt im Treppenhaus.« Das Mädchen lief vor mir her. »Nehmen Sie den Aufzug.« Sie hielt mir die Tür auf. Während ich schon mit dem Lift nach oben fuhr, wartete sie auf

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