Sie sehen aber gar nicht gut aus!
seinen eigenen Puls unter Kontrolle zu bringen. Das häufige Rauchen »gepresster Kuhscheiße«, wie ich Lennys Zigarillos liebevoll nannte, forderten eben ihren Tribut von dessen Lungenkapazität.
Noch bevor Lenny oben angekommen war, hatte ich Frau Petrovic die Kleidung vom Oberkörper geschnitten und mit einer kontinuierlichen Herzdruckmassage begonnen. Es war eng wie in der Umkleidekabine eines Kaufhauses. Menschen standen uns im Weg und glotzten uns über die Schulter. Mit ein paar deutlichen Worten schickten wir sie fort. Lenny riss den Absauger auf und steckte den Katheter auf den Schlauch. Der Monitor des Defibrillators zeigte eine Nulllinie. Ein Druck auf die »Analyse«-Taste startete eine Auswertung des Herzrhythmus und den Countdown, der genau zwei Minuten anzeigte und nach unten zählte. Genug Zeit für Lenny, einen venösen Zugang zu legen und die Intubation vorzubereiten, während ich weiter auf Frau Petrovics Brustkorb drückte.
Für mich war Manja Petrovic verloren. Meiner Vermutung nach hatte sie bereits mit einem Herzstillstand am Boden gelegen, als das junge Mädchen sie gefunden hatte. Wie sich herausstellte, hatte Manja eine ellenlange Liste an Medikamenten, die sie einnehmen musste, und an Vorerkrankungen – eine koronare Herzerkrankung, ein Schlaganfall drei Jahre zuvor, eine Lungenerkrankung und Diabetes mellitus. Diesen konnten wir bestätigen: Ihr Blutzucker lag bei 404 Milligramm pro Deziliter – ungefähr 300 Milligramm mehr als bei einem gesunden Menschen. Außerdem lag Manja eher im oberen Body-Mass-Index-Bereich.
Ich hatte ja bereits mit der Wiederbelebung begonnen und ging davon aus, dass wir aufhören würden, wenn der Notarzt eingetroffen war. Wir Rettungsassistenten dürfen eine Wiederbelebung normalerweise nicht selbstständig abbrechen. Mit einer Nulllinie befindet sich ein Mensch zwar erfahrungsgemäß in einer sehr schlechten Ausgangssituation für eine Wiederbelebung, aber da Manjas Herzstillstand noch nicht so lange zurücklag, mussten wir fortfahren.
Endlich kamen der Notarzt und der Fahrer Martin die Treppe hochgelaufen und nickten uns nur zu.
»Was habt ihr?«
»Achtundvierzigjährige Patientin mit einigen Vorerkrankungen kollabierte mit einer Asystolie hier im Treppenhaus. Die Tochter hat eine Anamneseliste, die du dir mal ansehen solltest.«
»Die hat sich ja drei Wochen zuvor selbst aus dem Krankenhaus entlassen«, sagte der Notarzt nach einem Blick auf die Unterlagen und schüttelte den Kopf.
»Ich würde sagen, wir machen noch zehn Minuten weiter und sehen mal, wie das Herz reagiert. Wenn bis dahin nichts passiert, hören wir auf«, versuchte ich den Notarzt zu beeinflussen.
Aus meiner Sicht lag hier eine schwer kranke, aber dennoch recht junge Patientin, der ich das Überleben wirklich wünschte. Martin übernahm jetzt die Herzdruckmassage. Manja war vollgelaufen bis obenhin, Erbrochenes war in die Lunge eingedrungen. Ich saugte ihr gelbe Bröckchen und zähflüssigen Schleim aus dem Hals ab und kniete in einer Lache, die mittlerweile tropfend den Weg durch das Treppenhaus nach unten gefunden hatte. Meine baumwollene Hose hatte sich von den Knien bis zu meinen Oberschenkeln hoch vollgesogen. Auch Lenny schien wenig begeistert über den Zustand seiner Kleidung zu sein. Er hatte sich offenbar in etwas hineingelehnt. In Anbetracht der ernsten Situation sagte er nichts, jedoch konnte ich ihm seine Verärgerung ansehen.
Irgendwelche Kinder standen ein Halbgeschoss unter uns und sahen mit weit aufgerissenen Mündern zu, wie wir reanimierten und wie zähes Sekret aus Manjas Mundwinkel lief. Wir forderten das Mädchen von vorhin daher auf, die Kinder in die entsprechende Wohnung zu schicken. Dann kam eine Frau mit ihren Einkäufen nach oben und bat uns, sie durchzulassen. Natürlich, wir hören mal kurz mit der Wiederbelebung auf und räumen den Notfall beiseite, damit die Dame keinen Umweg machen muss! Sie dürfen raten, wie die weniger freundliche Antwort lautete. Die Frau drehte sich, ohne einen Ton zu sagen, um und machte sich schnell davon.
»Hör mal kurz auf zu drücken«, sagte der Notarzt plötzlich zu Martin, »ich glaube, sie hat einen Puls.«
Tatsächlich. Obwohl ich es ihr natürlich wünschte, war mein erster Gedanke, dass wir hiermit wohl wieder einen Apalliker geschaffen hatten. Einen Zombie, der die nächsten 20 Jahre unbeweglich in einem Pflegeheim liegen würde, bevor er endlich sterben durfte.
Der EKG-Monitor gab in unregelmäßigem Takt
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