Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Aktion nicht länger als 20 Minuten in Anspruch nehmen. Aber irgendetwas klappte nicht.
Ich wählte die 112. Lenny und ich wollten wissen, was los war. Die 112 sollte nicht erreichbar sein? Das wollte ich nicht glauben. Nicht bei uns. Nicht hier. Ich wartete also auf ein Freizeichen, wartete auf die Ansage, dass nur alle Leitungen belegt seien. Aber ich hörte nichts außer dem Trägerrauschen der Telefonleitung. Das konnte doch nicht wahr sein.
Die Fahrzeuge konnten nur noch provisorisch alarmiert werden. Das funktionierte aber meistens nicht. Das zum Einsatz gerufene Fahrzeug meldete sich einfach nicht. Zwischen den einzelnen Sequenzen verging eine Ewigkeit, und alles schien absolut improvisiert vonstattenzugehen.
Halb zwei vorbei. Der Helfer vor Ort schwitzte in der überhitzten und schlafmuffligen Wohnung. Noch immer war kein Rettungswagen eingetroffen. Mit einer Frequenz von 100 Stößen pro Minute lehnte er sich rhythmisch auf den Brustkorb des Patienten und drückte ihn fünf Zentimeter tief ein. Nach zwei Minuten folgte der Druck auf die Analysetaste des Defibrillators: »Kein Schock empfohlen«, sagte die Stimme aus dem Kasten, »bei Pulslosigkeit Wiederbelebung starten.«
»Holen Sie Ihr Telefon«, wies er die Frau an, »wählen Sie die 112, und geben Sie mir den Hörer!«
Der Helfer wollte wissen, weshalb noch immer keine Hilfe eingetroffen war. Die Leitstelle musste ihm jetzt endlich einen Notarzt und den Rettungswagen schicken, der den Patienten in ein Krankenhaus bringen konnte. Der Helfer nahm den Hörer an sein Ohr. Doch er hörte nichts außer einem Rauschen in der Leitung. Er wählte erneut und erreichte wieder niemanden.
Kurz nach dem Jahrtausendwechsel kam es schon einmal zum sukzessiven Ausfall relevanter Computersysteme aufgrund eines nicht verifizierten Software-Updates und eines in der Folge aufgetretenen Speicherfehlers in einer der größten Leitstellen Deutschlands. Der Computerabsturz brachte einigen Menschen den Tod und verursachte eine Angstneurose nach der anderen bei den Bürgern.
Der US-amerikanische Ingenieur Edward A. Murphy stellte über das menschliche Versagen und über Fehlerquellen in komplexen Systemen einige spannende Lebensweisheiten auf, die auch auf Mitarbeiter in Rettungsleitstellen zutreffen. Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, eine Aufgabe zu erledigen, und eine davon in einer Katastrophe endet, dann wird jemand genau diese Variante ausführen. Kurz gesagt: Was schiefgehen kann, wird schiefgehen. Und es wird in der denkbar schlechtesten Reihenfolge passieren.
Murphys Gesetz für die Leitstelle besagt: Wenn ein Rechner abstürzt, werden andere folgen. Und ein Axiom ergänzt, dass es zunächst den wichtigsten aller Rechner im Leitstellennetzwerk erwischen wird, der alle anderen mit in den elektronischen Tod zieht.
Viertel vor zwei. Der Helfer wurde vom Team des Rettungswagens erlöst. Diese Nacht würde er mit Sicherheit nicht vergessen. Ob der Patient das IT-Desaster überlebt hat, konnten wir leider nie herausfinden. Erst gegen vier Uhr konnte das Computersystem der Rettungsleitstelle endlich neu gestartet werden. Danach strömten wieder die gewohnten Funksprüche über den Äther.
»Ab jetzt bleibt die Nacht bestimmt ruhig«, meinte Lenny und stapfte in Richtung des Schlafraumes unserer Rettungswache. Er sollte recht behalten. Murphy hatte sein Soll wohl bereits erfüllt.
Weg von hier
An einem heißen Julitag saß ich mit Lenny in einer Cafeteria eines von unserer Stadt etwa 25 Kilometer entfernt liegenden Altenheimes. Weder Lenny noch ich haben eine so hohe Affinität zu Leuten fortgeschrittenen Alters, dass wir auch noch unsere Pausen in ihrer unmittelbaren Nähe verbringen müssen. Aber 38 Grad im Schatten waren durchaus ein Grund, sich nicht gleich wieder einsatzklar zu melden.
»Ein Vanilleeis und eine Cola, bitte. Und einen Kaffee für meinen Kollegen«, bestellte ich.
»Kaffee? Bei der Hitze? Ihr Sanitäter ...«
Die Bedienung drehte sich um und schüttelte den Kopf. Kaffee ist übrigens das am meisten konsumierte Getränk im Rettungsdienst und besitzt einen hohen Stellenwert bei der Befriedigung des Suchtpotenzials eines Rettungsassistenten. Im Fachjargon »schwarzes Gold« genannt, wird es zu jeder Tages- und Nachtzeit in Mengen konsumiert, die einen normalen Menschen in einen aufgedrehten Duracell-Hasen verwandeln würden.
Während Lenny bereits seit einiger Zeit einen hässlichen und auffälligen Kaffeefleck an seinem Jackenkragen mit einem
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