Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Meinung. Ich fuhr mit der Anamneseerhebung fort.
»Was ist genau passiert?«
»Hey, Mann ... was sollen die blöden Fragen? Helft ihr einfach!«
»Die hat von dem da Speed bekommen«, kam eine emotionslose Stimme aus dem hinteren Bereich, und jemand deutete auf den aggressiven Kerl.
»... und gesoffen«, ergänzte eine zweite Stimme.
»Mann, halt die Fresse«, schrie der unangenehme Zeitgenosse in vorderster Reihe seinen Kumpel an, »die hat nix von mir genommen.«
Lenny nahm das Ohrthermometer. Das 25-jährige Partyopfer hatte Fieber. Ein typischer Effekt von Amphetaminmissbrauch. Durch die anregende Wirkung auf das zentrale Nervensystem kommt es zu einem Gefühl der Euphorie und des Über-den-Dingen-Stehens. Die Drogennutzer überschätzen sich und geraten irgendwann in einen Teufelskreis, den sie nicht mehr so schnell verlassen können. Drogen nehmen, Wirkung genießen, Wirkung lässt nach – irgendwann muss die Dosis gesteigert werden, um den gleichen Effekt zu erzielen. Nicht selten endet eine Speedparty in einem Systemausfall des Konsumenten. Bei dem Mädchen kam noch eine nicht zu unterschätzende Menge an Alkohol mit ins Spiel. Aus ihrem Gucci-Handtäschchen war ein Ausweis herausgefallen. Ihr Name war Svenja.
»Ich hab dem Arschloch in eurer Zentrale doch gesagt, dass ihr euch beeilen sollt, Mann«, schnauzte der Typ uns an.
»Polizei. Wer ist hier ein Arschloch?« Mehrere Polizisten betraten den Hof über den Hinterausgang der Diskothek.
»Der Freund hier, der vermutlich auch Dealer von Beruf ist«, bemerkte ich und sah den Polizisten an.
»Mehr dürfen wir aus Gründen der Schweigepflicht leider nicht sagen«, konstatierte Lenny und blinzelte mir zu.
»Wer hat euch gerufen? Ihr kommt ausnahmsweise wie bestellt«, sagte ich.
»Niemand. Wir waren nur zum Kontrollieren hier. Eine Bedienung schickte uns hier raus, weil sie dachte, es gebe Ärger«, antwortete der Polizist und nahm sich den Kameraden vor, der uns bedrängt hatte.
Es folgten eine Festnahme und eine ergiebige Durchsuchung des mutmaßlichen Drogendealers, der dem Mädchen zum Speedrausch verholfen hatte. Alle übrigen »Zeugen« hatten sich schnell aus dem Staub gemacht, als sie die Polizisten gesehen hatten.
Mittlerweile war Svenja aufgewacht und gab unerotische Grunzlaute gleich einem Hausschwein von sich. Gegen den venösen Zugang hatte sie sich nicht gewehrt.
»Guten Morgen, Svenja.«
»Uääääääääh!«
»Sieht wohl so aus, als ob sie dich nur von den Knien abwärts hübsch findet«, stellte Lenny grinsend fest. »Du bist und bleibst ein optischer Sanierungsfall.«
»Sehr witzig«, gab ich zurück. Wir luden die vollgekotzte Svenja dann in den Rettungswagen und machten uns mit ihr in der Notaufnahme wieder einmal keine Freunde.
Zwei Wochen nach unserer ersten Begegnung mit Svenja trafen wir sie erneut. Und danach regelmäßig immer wieder in sehr ähnlichen Situationen. Exzessiver Alkoholkonsum, Drogenrausch, Notaufnahme – immer die gleiche Geschichte. Im Verlauf der Zeit erfuhr ich eine ganze Menge von ihr. Sie erzählte mir von ihrer schrägen Kindheit, ihren Essstörungen und dem Beginn ihrer Drogensucht. Zuletzt rief uns der Besitzer einer heruntergekommenen Bar im Gewerbegebiet unseres Ortes zu sich, weil Svenja nach reichlichem Amphetamin- und Alkoholkonsum kollabiert war und ihm zur Erinnerung eine vollgekotzte Theke hinterlassen hatte. Eigentlich hatte sie versprochen, nie wieder Drogen zu nehmen – vor allem kein Speed mehr. Na ja, der übliche Junkieblues. Nach dem Kollaps ist grundsätzlich alles schrecklich. Es wird geweint und gezetert. Wenn der Junkie dann aber ausgenüchtert ist, geht das gleiche Spiel von vorne los.
Eines Tages kamen wir dann zu spät. Wir fanden sie tot in ihrer Badewanne, nachdem ein Nachbar, der sie seit einigen Tagen nicht mehr gesehen und sich Sorgen gemacht hatte, einen Notruf getätigt hatte. Die Kombination von Barbituraten und Alkohol hatte sie besiegt – ob absichtlich oder aus Versehen, wissen wir nicht. Viele Fotos von ihr hingen in ihrer Wohnung oder standen auf der Kommode. Sie zeigten Svenja in besseren Zeiten – als begeisterte Kletterin und auf einem giftgrünen, pfeilschnellen Motorrad, auf dem »Spaß« stand. Eine Frau, die das Extreme geliebt hatte, bis es ihr zum Verhängnis geworden ist.
Das Recht auf Hilfe
Jeder hat ein Recht auf Hilfe. Das klingt einfach, das klingt fair. Glauben Sie mir: Es ist weder das eine noch das andere.
»Wie kann er das
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