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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Strzoda
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anderen gewinnen und man selbst grundsätzlich verliert. Wenn man an solch einem Tag frei hat, ist das grundsätzlich kein Problem. Man kann einfach im Bett liegen bleiben, ausschlafen und den Tag abhaken. Man kann sich sozusagen dem Unglück entziehen. Es kann einem dann höchstens passieren, dass der Kaffee ausgegangen oder die Milch sauer geworden ist, wenn man frühstücken möchte. Wenn man aber arbeiten muss, sieht die Sache ganz anders aus.
    Im Juni war so ein Tag. Warum ich an dem Morgen nicht einfach im Bett liegen geblieben bin, weiß ich nicht. Schon als mein nagelneuer Toaster durchbrannte, hätte ich stutzig werden müssen. Während ich meine Wohnung verließ und dabei den Hausschlüssel vergaß, dachte ich noch immer an nichts Böses. Mein Nachbar gab mir trotz der unfreundlichen Uhrzeit am frühen Morgen Starthilfe, da meine Batterie versagt hatte. Punkt sechs Uhr kam ich in der Wache an – gerade noch rechtzeitig. Lenny witzelte, denn normalerweise ist er derjenige, der immer zu knapp ankommt.
    Die Außenwache liegt direkt an einer Autobahn, auf welcher Verkehrsunfälle normalerweise an der Tagesordnung sind. Die schweren Unfälle haben etwas nachgelassen, seitdem die Autobahn von einer Baustelle mit Fahrstreifenbegrenzung und einem Geschwindigkeitslimit von 60 Kilometern pro Stunde dekoriert ist. Vom Hof der Wache aus blickt man auf eine leuchtend blaue Tankstelle gegenüber. Sie bietet die Möglichkeit, sich 24 Stunden pro Tag mit ungesundem Futter zu versorgen. Für einige meiner Kollegen fatal – sie haben dank dieser unversiegbaren Futterquelle die kritische Body-Mass-Index-Grenze von 35 schon längst überschritten.
    Im Laufe des Vormittags wich die Morgenröte der Sonne, die strahlte, als ob sie ihr ganzes Licht auf einmal ausgeben wollte. Es war jetzt zehn Uhr.
    Zu genau dieser Zeit stand Ärger auf dem Hof der Völk­ners an. Einige Orte von unserer Wache entfernt besaß die Familie ein Gut mit einem Gestüt. Großvater Völkner machte sich auf den Weg zu seinen Lieblingen, den Pferden. Es kam von Zeit zu Zeit vor, dass irgendjemand das Gatter der Pferdekoppeln offen stehen ließ. Pferde sind zwar nicht auffallend schlau, aber auch nicht so dumm, eine Chance wie diese ungenutzt zu lassen. Die Herde entschloss sich dann immer zu einem ländlichen Ausflug in die Freiheit. Seit Jahren war es stets Großvater Völkner, der die Pferde dann wieder einfing. Er war schwer herzkrank und nahm mehr Medikamente am Tag, als sich Schokolinsen in einer Packung Smarties befinden. Schon Tausende Male hatte seine Tochter ihm gepredigt, er solle sich nicht immer so aufregen, da ihm das so aufs Herz schlage. Großvater Völkner kannte die Meinung des Arztes genau, aber er hatte noch nie auch nur einen Cent darauf gegeben. Der dürre alte Mann wusste alles besser und schimpfte auch diesmal auf den Mistkerl, der das Gatter offen gelassen hatte. Dann machte er sich auf die Jagd nach seinen Lieblingen. Als er eine Stunde später immer noch nicht zurück war, machten sich die Tochter und der Schwiegersohn auf die Suche.
    »1/83/1, fahren Sie: Neumünster, Kapellenweg Nummer 15 bei Petermann – ein Sturz aus dem Bett.«
    Ich wiederholte den Einsatz. Während Lenny den Straßennamen in das Navi eingab, setzte ich den Rettungswagen in Bewegung. Für uns war dies ein Standardeinsatz: ankommen, Patienten befragen, untersuchen, Halskrause anlegen, Wunden verbinden. Hat der Patient etwas gebrochen, wird das geschient. Für Verletzungen an der Wirbelsäule stehen uns eine starre Schaufeltrage aus Aluminium und eine Vakuummatratze zur Verfügung. Letztere enthält etliche tausend winzige Kügelchen. Wenn wir die Luft daraus absaugen, entsteht eine perfekt an den Patientenkörper angepasste Transportmöglichkeit. Anschließend ab in die chirurgische Abteilung der nächstgelegenen Klinik. Und nach einer Stunde sind wir in so einem Fall meist zurück in der Wache, sitzen auf der Couch und trinken Kaffee – normalerweise.
    Der Anfahrtsweg war diesmal lang. Der Zielort lag 25 Kilometer von unserer Wache entfernt. Wir fuhren also übers Land und erfreuten uns an dem guten Wetter, den saftigen Gräsern und dem ganzen Getier, das auf den Wiesen so herumstand. Nach der Hälfte des Anfahrtsweges bogen wir in der Ortsmitte von Markstein ab und blickten auf eine schnurgerade Landstraße. Linker Hand begann das Gut der Familie Völkner.
    Es ist ein komisches Gefühl, wenn sich das Zeitkontinuum ändert. Die Zeit bleibt plötzlich

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