Sie sehen aber gar nicht gut aus!
was zu tun ist. Auch diesmal liefen alle Handgriffe zügig und stressfrei ab, während die Tochter neben uns stand und weinte.
Plötzlich hielt eine orangefarbene Betonmischmaschine hinter unserem Rettungswagen. Der Fahrer war ein circa 60-jähriges Pummelchen in Baustellenkleidung. Der Mann verließ sein Fahrzeug, schmiss die Fahrertür zu und kam zügig auf uns zu. Als er sein Gefährt passiert hatte, merkte er, dass er die Handbremse nicht angezogen hatte. Zwölf Tonnen setzten sich daher langsam in Bewegung. Die Reaktion des Mannes war schneller, als dessen Körper es koordinieren konnte. Sein Oberkörper drehte sich im Vorwärtslaufen. Der linke Unterschenkel fädelte hinter dem rechten ein. Geschätzte 120 Kilogramm Körpermasse klatschten daraufhin vorwärts auf den Asphalt, was sich wie eine schallende Backpfeife anhörte. Einen kurzen Moment lang sah es aus, als würde der Mann von seinem eigenen Lkw überrollt werden.
In Zeitlupe steuerte der Lkw führerlos auf das Heck unseres Rettungswagens zu, als könnte ihn nichts aufhalten. Während ich den Patienten wiederbelebte, erlebte ich die Kollision einer Mücke und eines Elefanten. Unsere Mücke stellte kein großes Hindernis für den Elefanten dar – der Lkw tauchte in das Heck unseres Rettungswagens ein und schob diesen gemächlich vor sich her. Offenbar hatte ich die Handbremse nicht fest genug angezogen.
»Du entschuldigst mich kurz?«, meinte ich grinsend zu Lenny und sprintete zum Rettungswagen, bevor dieser vom Betonmischer in den nächsten Ort geschoben werden konnte. Türe auf, hineingesprungen, Handbremse bis zum Anschlag hochgerissen. Beide Gefährte kamen mit einem Ruck zum Stehen. Zehn Sekunden später kniete ich wieder am Kopfende von Großvater Völkner, den Beatmungsbeutel in den Händen. Der dicke Fahrer des Betonmischers hatte bei seinem Sturz Glück gehabt und lediglich Schürfwunden davongetragen. Er hatte übrigens gedacht, dass wir ein wenig Hilfe gebrauchen könnten. Und in der Eile hatte er dann das kleine Detail »Handbremse« vergessen. Aber egal, eine verbeulte Hecktür zahlt ja die Versicherung.
Die dritte Defibrillation zeigte endlich Erfolg. Die Wiederbelebung endete schließlich gut für Großvater Völkner, dessen Zeit wohl doch noch nicht abgelaufen war. Bei einer Herzkatheteruntersuchung stellte man fest, dass Großvater Völkner durch starke Ablagerungen an den Arterienwänden seiner Herzkranzgefäße einen Herzinfarkt erlitten hatte. Der Infarkt hatte zum Herzkammerflimmern und somit zum Kreislaufstillstand geführt. Ohne Wiederbelebungsmaßnahmen wäre zuerst das Gehirn abgestorben. Und hier ist auch der Haken: Wenn ein Kreislaufstillstand beispielsweise zehn Minuten andauert, könnte das Herz durchaus noch zum Schlagen gebracht werden. Dem Gehirn des Patienten bleiben hingegen nur ungefähr vier Minuten. Sind diese überschritten, entstehen immense Schäden, und es ist fraglich, ob der Patient je wieder in ein bewusstes Leben zurückkehren kann. Großvater Völkner blieb das erspart. Er hatte seinen Infarkt überlebt und hatte Glück, dass wir unmittelbar nach Eintreten seines Herzstillstandes zufällig vorbeigekommen waren. Eine Woche nach dem Ereignis konnte der alte Mann das Krankenhaus wieder voller Lebensfreude verlassen.
Obwohl ich auf den schrägen Morgen geflucht hatte, hatte sich das frühe Aufstehen gelohnt. Gut, dass ich an dem Morgen nicht im Bett geblieben war.
Titty-Twister
Nüchtern betrachtet, besteht der Job eines Rettungsassistenten in der Regel zu 80 Prozent aus Krankentransporten und lediglich zu 20 Prozent aus Notfall- und Notarzteinsätzen. Dabei ist bereits eingerechnet, dass sich ein Großteil der Notfalleinsätze als Krankentransport herausstellt, da sich die Sachlage im Nachhinein als doch nicht so dramatisch erweist wie angenommen. Und ab und an ist auch einfach kein passendes Fahrzeug verfügbar – dann muss eben der Rettungswagen dafür herhalten.
Krankentransporte gehören organisatorisch zu den oberhalb von Taxifahrten angesiedelten Einsatzarten. Sie bedeuten, dass Patient X während des Transportes unmittelbare medizinische Betreuung benötigt. Beispielsweise erhält der Erkrankte während der Fahrt Blutzucker- und Blutdruckmessungen oder Sauerstoff. Bei mindestens zwei Dritteln der Krankentransporte braucht der Patient aber überhaupt nichts außer einer Fahrgelegenheit nach irgendwohin. Theoretisch würde eine Krankenkasse auch Taxifahrten zahlen. Da das Genehmigungsverfahren
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