Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Wahlberg lag in seiner eigenen Kotze direkt neben dem Swimmingpool im weiß gefliesten Keller. Durch die Unterwasserbeleuchtung spiegelten sich die Wasserbewegungen an den Wänden und der Decke. Ein Arm hing im Wasser, der Mann schien zu wenig Sauerstoff zu bekommen, denn seine Lippen waren blau angelaufen.
»Was war hier los?«, fragte ich und begab mich neben den Patienten.
»Nix. Wir haben nur gefeiert. Er hat doch heute Geburtstag«, antwortete der Typ.
»Dann mal herzlichen Glückwunsch«, meinte Lenny, kniete sich neben den Rucksack und gab mir das Blutdruckmessgerät heraus.
»Alkohol?«
»Nur etwas ...«
»Wie viel?«, hakte ich eindringlich nach.
»Is’ ja gut. Ein paar Flaschen Korn. Und ’nen Druck.«
»Einen was?«
»Er hat sich H gedrückt.«
Das erklärte die Lippenzyanose. Der Spinner hatte sich die Droge in die Vene gefixt. Das Heroin wird über Umwege zu Morphin abgebaut. Nach dem anfänglichen Kick im Hirn bietet der Stoff einen ziemlich unsympathischen Nebeneffekt: Durch die Wirkung auf die Opioidrezeptoren kommt es zum Herabsetzen der Empfindlichkeit des Atemzentrums. Der Drogensüchtige bekommt seinen lebensnotwendigen Atemantrieb erst bei einer wesentlich höheren Kohlendioxidkonzentration der Umgebungsluft als der normale Mensch. Die Folge: Bei Überdosierung verlangsamt und verflacht sich die Atmung bis zum Atemstillstand. Der »goldene Schuss« ist also nichts weiter als das Aussetzen der Atmung und der damit verbundene Herzstillstand durch Sauerstoffmangel. Alkohol verstärkt diesen Effekt noch.
Die Kotze stank nach saurem Fisch, Wodka und Pfefferminzbonbons. Ich atmete nur durch den Mund ein und entdeckte die Spritze noch in einer Vene am Fußrücken. Der Fixer blutete am Hinterkopf. Offenbar war der Rand des Schwimmbeckens härter gewesen als sein Schädel.
Einen venösen Zugang bei einem Fixer zu legen ist ungefähr so einfach, wie in der Essener Straßenbahn im Berufsverkehr morgens um acht Uhr einen komfortablen Sitzplatz zu ergattern. Lenny hatte jedoch Glück und traf gleich beim ersten Versuch. Es klappte an einer Vene am Unterarm. Das Naloxon entfaltete seine Wirkung schlagartig und verdrängte das Heroin von den Opioidrezeptoren. Ich hielt etwas Abstand, denn ich erwartete nicht, dass der Junkie Markus Wahlberg das Ganze ebenso positiv sehen würde wie wir. Schließlich nahmen wir ihm gerade seinen Rausch weg. Er atmete einige Male tief ein und bewegte zuerst die Augenlider. Da Naloxon im Vergleich zum Heroin wesentlich schneller abgebaut wird, gaben wir mehrere Ampullen des Medikamentes zusätzlich in die Infusion.
Markus Wahlberg sah aus, als hätte er seine besten Zeiten bereits hinter sich. In seinem Ausweis, den wir in einer ledernen Brieftasche am Beckenrand gefunden hatten, las ich sein Alter. 31 Jahre. Ich konnte es nicht glauben. Eigentlich hatte ich ihn auf Ende 40 geschätzt. Er war dürr und hatte eine blassgelbe Hautfarbe wie Emmentaler. Die Augen lagen tief in den schattigen Höhlen und bewegten sich nur in Zeitlupe. Die Haut war eine Kraterlandschaft mit einer ganzen Menge von Einstichen und erinnerte mich an einen verbrauchten, ausgefransten Küchenschwamm. Vermutlich hasste er uns, denn wir hatten ihm seinen Schuss gründlich versaut. Und damit die Party.
»Haben Sie noch irgendwelche Vorerkrankungen, von denen wir wissen sollten?«, fragte ich ihn. Es verging sicher eine Minute bis zur Antwort.
»Ich habe Krebs. Es hat in der Lunge angefangen.«
»Drücken Sie deshalb?«
»Nein, ich drücke schon, seit ich 15 bin. Gestern hat mir mein Arzt gesagt, dass ich sterben werde. Lymphknotenbefall.«
»Scheiße.«
Wir hörten die Haustür ins Schloss fallen. Der abgefuckte Kumpel hatte das Weite gesucht.
»Toller Freund«, sagte Lenny, »geht einfach, ohne sich zu verabschieden.«
»Freund ist übertrieben. Der schnorrt nur das Dope.«
»Sie müssen ins Krankenhaus.«
»Was soll ich da? Ich sterbe. Heute sollte es eigentlich so weit sein ...«
»Sie wollten sich umbringen?«
»Ja.«
Lenny hatte den Raum verlassen, um den Notarzt und die Polizei nachzufordern. Markus Wahlberg musste behandelt und anschließend zwangseingewiesen werden. Er hatte jetzt keine Wahl mehr. Ich verstand dass Ganze auch als einen letzten Hilferuf. Schließlich hätte er sich den goldenen Schuss auch so setzen können, dass er dabei nicht Gefahr lief, gerettet zu werden – aber das hatte er nicht getan.
Mir fiel dazu nichts mehr ein. Außer dass Markus Wahlberg alles
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