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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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diese bandagierte Hand in die Luft gestreckt.
    Spencer war kein besonders guter Sportler gewesen, in dem Spiel hatte er jedoch sechs Sekunden vor Spielende den entscheidenden Korb geworfen. Das war in der siebten Klasse gewesen. Sie fragte sich, ob sie ihn je glücklicher gesehen hatte.
    Ein Polizist hatte Spencers Leiche auf dem Dach der Highschool gefunden.
    Auf dem Monitor rotierten die Fotos weiter. Betsy hatte feuchte Augen. Sie sah sie nur noch verschwommen.
    Auf dem Schuldach. Ihr hübscher Sohn. Zwischen Unrat und kaputten Flaschen.
    Spencers Abschiedstext hatten sie alle schon vorher bekommen. Eine SMS. Er schrieb darin, was er vorhatte. Die erste SMS hatte er an Ron geschickt, der zu einem Kundentermin in Philadelphia war. Die zweite SMS hatte Spencer an Betsys Handy geschickt, sie war aber gerade bei Chuck-e-Cheese gewesen, einer Spielhallenpizzeria und dem Ursprung vieler elterlicher Migränen, und hatte nicht gehört, dass sie eine SMS bekam. Erst nach einer Stunde, als Ron schon sechs Nachrichten auf ihrem Handy
hinterlassen hatte, von denen jede verzweifelter als die vorherige klang, hatte sie den letzten Text auf ihrem Handy entdeckt  – die letzten Worte ihres Jungen.
    »Tut mir leid, ich liebe euch, aber das ist mir alles zu heavy. Lebt wohl.«
    Es hatte zwei Tage gedauert, bis die Polizei ihn auf dem Schuldach gefunden hatte.
    Was war dir zu heavy, Spencer?
    Sie würde es nie erfahren.
    Er hatte die SMS noch ein paar anderen Leuten geschickt. Engen Freunden. Mit denen er sich angeblich an dem Abend treffen wollte, wie er ihr zumindest erzählt hatte. Er wollte mit Clark, Adam und Olivia abhängen. Aber die hatten ihn nicht gesehen. Spencer war nicht aufgetaucht. Er war allein losgezogen. Er hatte Tabletten bei sich gehabt  – die er zu Hause geklaut hatte  –, und dann hatte er zu viele davon geschluckt, weil ihm irgendetwas zu heavy war und er sein Leben beenden wollte.
    Er war allein auf dem Dach gestorben.
    Daniel Huff, der Chef der örtlichen Polizei, mit dessen Sohn DJ Spencer auch gelegentlich etwas unternommen hatte, war zu ihnen ans Haus gekommen. Sie wusste noch, dass sie einfach zusammengeklappt war, als sie ihm die Tür geöffnet und sein Gesicht gesehen hatte.
    Betsy blinzelte die Tränen weg. Sie versuchte, sich wieder auf die Fotos zu konzentrieren, auf die Bilder, auf denen ihr Sohn noch am Leben war.
    Und plötzlich rotierte das Foto nach vorne, das alles veränderte.
    Betsy blieb das Herz stehen.
    Das Foto verschwand genauso schnell, wie es erschienen war. Weitere Bilder wurden darauf abgelegt. Sie griff sich an die Brust
und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Foto. Wie konnte sie es sich noch einmal ansehen?
    Wieder blinzelte sie. Versuchte nachzudenken.
    Okay, erstens: Das Foto war ein Teil einer Online-Diashow. Wahrscheinlich lief die durch und fing dann wieder von vorn an. Dann konnte sie einfach warten. Aber wie lange würde das dauern? Und was machte sie dann? Es würde wieder nur ein paar Sekunden lang zu sehen sein. Sie musste es sich aber genauer angucken.
    Konnte sie es irgendwie anhalten, wenn es wieder erschien?
    Das musste doch möglich sein.
    Sie sah die anderen Fotos vorbeirotieren, aber die interessierten sie nicht. Sie wollte das eine Bild wieder sehen.
    Das mit der verstauchten Hand.
    Das Basketballspiel aus der siebten Klasse fiel ihr wieder ein, weil ihr eine seltsame Parallele durch den Kopf ging. Hatte sie nicht gerade noch an Spencers elastische Binde von damals gedacht? Natürlich. Offenbar war das eine Art Katalysator gewesen.
    Am Tag vor Spencers Selbstmord war nämlich etwas Ähnliches passiert.
    Er war gestürzt und hatte sich das Handgelenk verletzt. Wie damals in der siebten Klasse hatte sie ihm angeboten, es zu verbinden. Spencer wollte aber, dass sie ihm eine Manschette besorgte, was sie dann auch getan hatte. An seinem Todestag hatte er sie getragen.
    Zum ersten und  – natürlich  – letzten Mal.
    Sie klickte mit der Maus auf die verdammte Diashow. Darauf öffnete sich ein Fenster namens slide.com und verlangte ein Passwort. Mist. Wahrscheinlich war die Seite von einem Jugendlichen eingerichtet worden. Sie überlegte. Auf so einer Seite gab es vermutlich keine besonders ausgefeilten Sicherheitsmaßnahmen. Man richtete sie einfach ein und ließ die Mitschüler die Fotos einstellen, die sie gern in der Diashow sehen würden.

    Also musste das Passwort einfach sein.
    Sie tippte: SPENCER.
    Dann klickte sie OKAY.
    Es

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