Sie sehen dich
mit.«
»Jill schläft bei Yasmin.«
»Ihr lasst sie bei XY schlafen?«
»Nenn sie nicht so. Das ist gemein.«
Adam zuckte die Achseln. »Von mir aus.«
Von mir aus – schon immer eine beliebte Teenagerantwort.
»Also komm nach der Schule direkt nach Haus, dann holen wir dich hier ab.«
»Ich kann nicht.«
Mike sah sich im Zimmer um. Es hatte sich etwas verändert seit dem Tag, als sie mit dem tätowierten Brett, dem Ritter von den schmutzigen Fingernägeln, hier herumgeschnüffelt hatten. Der Gedanke machte ihm wieder zu schaffen. Bretts schmutzige Fingernägel hatten die Tastatur berührt. Das war nicht richtig. Jemandem nachzuspionieren war falsch. Aber wenn sie das nicht machten, würde Adam morgen zu einer Party gehen, sich betrinken und womöglich Drogen nehmen. Also hatte das Spionieren doch etwas Gutes. Aber war Mike als Jugendlicher nicht auch auf die eine oder andere solche Party gegangen? Und er hatte sie überlebt. Hatte ihm das wirklich geschadet?
»Was soll das heißen, du kannst nicht?«
»Ich geh zu Olivia.«
»Das hat deine Mutter mir schon erzählt. Du gehst dauernd zu Olivia. Hey, die Rangers spielen gegen die Flyers.«
»Ich will nicht hin.«
»Mo hat die Karten schon gekauft.«
»Dann soll er jemand anders mitnehmen.«
»Nein.«
»Nein?«
»Genau, nein. Ich bin dein Vater. Du kommst mit zum Spiel.«
»Aber …«
»Kein Aber.«
Mike drehte sich um und verließ das Zimmer, bevor Adam noch etwas sagen konnte. Wow, dachte Mike. Habe ich wirklich Kein Aber gesagt?
6
Das Haus war tot.
So hätte Betsy Hill es ausgedrückt. Tot. Es war nicht nur ruhig oder verlassen. Das Haus war leblos, kalt, entseelt – sein Herz hatte aufgehört zu schlagen, es pulsierte kein Blut mehr in seinen Adern, die Organe hatten zu verwesen begonnen.
Tot. Mausetot, was immer das auch bedeuten mochte.
Genauso tot wie ihr Sohn Spencer.
Betsy wollte raus aus diesem toten Haus. Wegziehen. Ganz egal wohin. Sie wollte nicht in diesem verwesenden Leichnam bleiben. Ron, ihr Mann, fand, dass es zu früh für eine solche Entscheidung war. Wahrscheinlich hatte er Recht. Aber Betsy hielt es hier nicht mehr aus. Sie schwebte durchs Haus, als ob sie und nicht Spencer der Geist wäre.
Die Zwillinge guckten sich unten eine DVD an. Sie stellte sich ans Fenster und blickte hinaus. Bei allen Nachbarn brannte Licht. Deren Häuser lebten noch. Sie hatten auch ihre Probleme. Eine drogensüchtige Tochter, eine Ehefrau, die allen schöne Augen machte und es nicht beim Flirten beließ, ein Familienvater, der schon zu lange arbeitslos war, ein autistischer Sohn – in jedem Haus gab es eine mehr oder weniger große Tragödie. In jedem Haus und jeder Familie gab es gut gehütete Geheimnisse.
Aber ihre Häuser lebten noch. Sie atmeten.
Das Haus der Hills war tot.
Sie sah die Straße hinunter und dachte daran, dass alle Nachbarn bei Spencers Beerdigung gewesen waren. Dadurch hatten sie die Hills in ihrer schwersten Stunde ganz dezent unterstützt, hatten Trost angeboten, Schultern, an denen sie sich ausweinen konnten, und versucht, auch den geringsten Anflug einer Anklage aus ihren Blicken zu verbannen. Betsy hatte die Anklage trotzdem gesehen. Bei allen. Sie wollten es nicht sagen, aber sie
wollten Ron und ihr unbedingt die Schuld geben – weil es ihnen dann nicht passieren konnte.
Jetzt waren die Nachbarn und Freunde wieder gegangen. Denn das Leben veränderte sich nicht sehr, wenn man nicht zum engsten Familienkreis gehörte. Für Freunde, selbst enge Freunde, war es so, als sähen sie einen traurigen Film an – man war zutiefst berührt, litt mit, aber irgendwann wurde die Trauer so groß, dass man sie nicht mehr spüren wollte, und dann beschloss man, dass der Film zu Ende war, und ging nach Hause.
Aber die Familie musste durchhalten.
Betsy ging wieder in die Küche. Sie machte das Abendessen für die Zwillinge – Hot Dogs und Makkaroni mit Käsesauce. Die Zwillinge waren gerade sieben geworden. Ron grillte die Würstchen am liebsten, im Sommer wie im Winter und ganz egal ob es regnete oder die Sonne schien, aber die Zwillinge beschwerten sich sofort, wenn das Würstchen auch nur das kleinste bisschen »verbrannt« war. Betsy bestrahlte die Hot Dogs in der Mikrowelle. Die Zwillinge waren glücklich und zufrieden.
»Abendessen«, rief sie.
Die Zwillinge beachteten sie nicht. Wie immer. Spencer hatte es genauso gemacht. Das erste Rufen wurde nur als allgemeiner Hinweis aufgefasst. Sie hatten
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