Sie und Allan
unterwarf, lange bevor Menes, der erste Pharao, die erste Krone Ägyptens trug.«
»Ra war der Sonnengott, nicht wahr?«
»Ja, und Rezu war ebenfalls ein Sonnengott, der von seinem Thron in den Feuern des Herrn des Tages den Menschen Leben verlieh, oder sie, wenn es ihm gefiel, mit seinen Donnerkeilen von Dürre, Pestilenz und Sturm tötete. Er war kein freundlicher Himmelskönig, sondern einer, der von seinen Gläubigen Blutopfer forderte, ja, selbst die Opferung von Jungfrauen und Kindern. Und so kam es, daß das Volk von Kôr, das seine Jungfrauen von den Priestern Rezus erschlagen und aufgegessen sah, und seine Kinder zu Asche verbrannt in dem Feuer, das seine Strahlen entzündeten, sich der Anbetung des sanften Mondes zuwandten, dessen Göttin Lulala genannt wurde, während einige von ihnen die Wahrheit zu ihrer Königin erwählten, da die Wahrheit, wie sie sagten, größer und erstrebenswerter sei als der grausame Sonnenkönig oder die liebliche Mondkönigin und über beiden auf dem höchsten Stern des Himmels throne. Nun wurde der Dämon Rezu von Zorn erfüllt und schickte die Pestilenz über Kôr und seine Lande und tötete seine Menschen mit Ausnahme derer, die ihm auch während der großen Apostase treu geblieben waren, und mit ihnen überlebten auch einige, die Lulala und der Wahrheit dienten, auf welche Weise ihnen das gelang, weiß ich nicht.«
»Habt Ihr diese große Pestilenz miterlebt?« fragte ich voller Interesse.
»Nein, sie überfiel Kôr mehrere Generationen bevor ich in diese Stadt kam. Ein gewisser Junis, ein Priester, hat einen Bericht über sie geschrieben, in jenen Höhlen, die Ihr dort drüben sehen könnt, die mein Heim sind, und die Grabstätte von ungezählten Tausenden, die von ihr getötet wurden, bis niemand mehr übrig war, den man in die Grube werfen konnte. Zu meiner Zeit war Kôr bereits eine Ruinenstadt, so wie sie es heute ist, obwohl über das Land verstreut, zwischen den zerbröckelnden Steinen Sippen und Stämme eines Volkes lebten, das sich Amahagger nannte, dessen Angehörige den Riten des Dämons Rezu gehorchend Menschen dem Feuer opferten und sie dann verspeisten. Denn diese waren die Nachkommen jener, die der Pestilenz entronnen waren. Außerdem gab es auch noch weitere: Kinder der Anbeter Lulalas, deren Reich der Mond ist, und der Königin der Wahrheit, die dem friedlichen Glauben ihrer Vorväter anhingen und im ständigen Krieg mit den Anhängern Rezus lagen.«
»Was hat Euch nach Kôr geführt, Ayesha?« fragte ich zusammenhanglos.
»Habe ich nicht gesagt, daß ich durch den Befehl und das Symbol der großen Isis, der ich diene, an diesen Ort geführt wurde? – Außerdem ...«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu, »um ein gewisses Paar zu entdecken, deren einer Teil den ihr gegebenen Schwur gebrochen hatte, wozu er durch den anderen verführt worden war.«
»Und habt Ihr dieses Paar gefunden?«
»Ja, ich habe die beiden gefunden, und in meiner Gegenwart hat die Göttin ihr Urteil über diesen falschen Priester vollstreckt und die Verführerin in die Welt zurückgejagt.«
»Das muß für Euch entsetzlich gewesen sein, Ayesha, da Ihr, wie ich verstanden habe, diesen Priester ebenfalls mochtet.«
Sie sprang von ihrer Couch und sagte mit leiser, zischender Stimme, die mich an den Laut einer wütenden Schlange erinnerte und mein Blut gerinnen ließ: »Ihr wagt es, meiner zu spotten? Nein, Ihr seid nichts weiter als ein tolpatschiger, neugieriger Narr, und Ihr seid gut dran, daß dem so ist, denn sonst würdet Ihr, wie Kallikrates, Kôr nicht lebend verlassen. Enthebt Euch dessen, was Ihr nie erfahren werdet. Genüge es Euch zu wissen, daß der Fluch der Isis' auf Kallikrates' Schultern fiel, ihren verschworenen, meineidigen Diener, und daß auch auf mir ihr Fluch lastet, die ich hier verbleiben muß, tot, und dennoch lebend, bis er zurückkehrt und das Spiel von neuem beginnt.
O Fremder«, fuhr sie mit sanfterer Stimme fort, »vielleicht droht Euch Euer Glaube, was immer der sein mag, mit einer Hölle, um seine Anhänger in Angst und Schrecken zu versetzen und den Armen seiner Propheten Kraft zu verleihen, welche schwören, die Schlüssel zur ewigen Verdammnis und zur ewigen Glückseligkeit in Händen zu halten. Ich sehe, daß Ihr mir recht gebt (ich hatte bei ihren erschreckend zutreffenden Worten zustimmend genickt) und könnt deshalb diese Hölle auf Erden verstehen, in der ich seit zweitausend Jahren lebe, in Buße für Sünden gegenüber Mächten,
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