Sie und Er Botschaften aus parallelen Universen
Etablissements auf uns wartete. Aber wie dorthin kommen? Auf den ersten Blick schien es unmöglich. Doch Christel fand die Service-Schneise und so schlängelten wir uns im Gänsemarsch – nein, eher wie auf einem Ziegenpfad – an Hunderten von spei-senden Menschen vorbei, konzentriert darauf achtend, nirgendwo anzustoßen oder etwas umzuwerfen. Unsere artistische Mühe wurde belohnt, wir entdeckten im hintersten Winkel etwas Weißes mit Platz drumrum, unseren Tisch. Holla, welche Freude – aber warum gedeckt für Sechs?
Wir stellten diese Frage erst einmal zurück und krönten zunächst unsere artistische Ein-lage damit, dass wir uns unserer Jacken ent-ledigten und Platz nahmen, ohne die Einrichtung zu demolieren. Geschafft! Wir blickten uns um. Das Lokal war nicht nur 84
eindeutig übervölkert, sondern auch komplett zudekoriert. Zusammengerechnet waren die weißen Flecken, die rudimentär an Wände und Decke erinnerten, vielleicht so groß wie ein DIN-A4-Blatt, der Rest war eine Mixtur aus Bildern und Brotkörbchen, die sogar an die Decke genagelt waren.
Doch zum Glück stand auch ein gefülltes Exemplar auf dem Tisch und fokussierte unsere Aufmerksamkeit, denn wir hatten nach unserem Spaziergang großen Hunger.
Prompt erschien eine Kellnerin und nahm –
uns freundlich duzend – unsere Getränke-wünsche entgegen. Klar, in dieser Enge mussten die Gäste geduzt werden, sonst würde ihnen ihr Ölsardinenstatus unangenehm auffallen. Just da er schien auch Teresa, die umbrische Besitzerin dieses urigen Lokals, begrüßte uns, als wären wir alte Freundinnen, und teilte uns mit, dass sie die beiden jungen Männer in ihrem Gefolge nun an unserem Tisch platzieren werde, weil wir ja bestimmt nichts dagegen hätten, und auch nur solange, bis ein anderer Tisch frei werde. Es gab nicht die geringste Chance, dagegen zu protestieren. Also ertrugen wir es, dass unser Bewegungsspielraum auf wenige tausendstel Millimeter schrumpfte, die zwei Neuzugänge sich über unser Brotkörbchen hermachten und mit ständigen Handy-Gebimmel dazu beitrugen, das Restaurant auch akustisch aus allen Nähten platzen zu lassen. Dieser Ort musste giga in sein – oder sehr lecker oder billig oder beides, überleg-ten wir wohlgemut, um unser Entsetzen etwas einzudämmen. Als unser Hunger gerade 85
in Unwohlsein umschlagen wollte, erschien erneut die temperamentvolle Teresa. Waren wir bewaffnet oder wieso trug sie einen Schild vor der Brust? Ach nein, das war die Tageskarte, die sie nun vor uns hoch in den noch freien Luftraum hielt. Auf einer großen Tafel, wie man sie gewöhnlich vor einem Lokal in Stellung bringt, waren sechs Gerichte zu lesen, die sie uns nun schreiend vortrug. Viel verstanden wir nicht, aber einige Wörter konnten wir identifizieren, wie Frisch, Kräuter, Hausgemacht und Frisch.
Das machte wieder Appetit, also bestellten wir, wahrend sie mit Kreide die Preise neu hinschrieb – in der Hoffnung, wie sie fröhlich erklärte, sie möchten denen ähneln, die sie auf Wunsch der Geburtstagsparty, die am Nachbartisch tobte, bei ihrem Vortrag ausgewischt hatte. Haha, wie entzückend, lebenslustig und zupackend Frau Zirkusdi-rektor doch war. Unsere Überlegungen hin-sichtlich der Wartezeit verliefen positiv, denn es erschien uns logisch, dass die Küche eines Restaurants, das nur vier Vorspeisen und zwei Hauptgerichte zur Auswahl stellt, schnell arbeitet. Tja.
Als die Antipasti misti endlich unseren Tisch erreichten, fielen wir nur sehr zöger-lich darüber her. Vielleicht lag es daran, dass die Mixtur wirklich alles zu enthalten schien, was an Essbarem in der Küche zu finden war – vielleicht auch daran, dass das Dressing alle Geschmacksrichtungen auf eine reduzierte, wer weiß? Jedenfalls wurden mit den leeren Vorspeisentellern auch die zwei jungen Männer abgeräumt und wir 86
vier atmeten erleichtert auf. Wir entfalteten unser Körpervolumen wieder auf das normale Maß und vermieden zugleich fürsorglich jeden Gedanken daran, wie man es wohl anstellen könnte, im Bedarfsfall zur Toilette zu gelangen, ohne von der Feuerwehr her-ausgeschweißt werden zu müssen.
Mit der Hauptspeise erschien erneut Teresa, diesmal mit zwei älteren Männern im Fahr-wasser, die sie uns als ihre liebsten Ver-wandten aus Bella Italia vorstellte und –
claro – dazusetzte. Wir falteten uns wieder ein und inspizierten unsere Teller. Jutta, selbst ausgezeichnete Köchin und Apothe-kerin, fand heraus, welcher Teller welches Gericht trug. Der
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