Sie und Er Botschaften aus parallelen Universen
nicht.
Wir wollen versuchen, den Zauber auszulo-ten, der diesen Futterplätzen innewohnt, ein Wort, dass ich sehr bewusst wähle, denn auch das Reh, dem der gute Förster im kal-ten Winter Heu hinlegt, zahlt dafür; später zwar, aber mit dem Leben, denn es hat ja kein Geld.
In einem Restaurant geschieht viel mehr als nur Nahrungsaufnahme in sehr unterschiedlicher Qualität gegen unterschiedliche Be-zahlung. Machen wir uns einmal klar, was der Satz: Wir müssen mal essen gehen – alles bedeuten kann. Das reicht von: Ich möchte mit Ihnen ins Geschäft kommen
über: Ich möchte mit Ihnen schlafen bis hin zu: Ich möchte dir schonend beibringen, dass wir uns die neue Küche nicht leisten 90
können; dass ich eine Geliebte habe, mich aber nicht scheiden lassen möchte; dass ich keine Geliebte habe, mich aber trotzdem scheiden lassen möchte; dass ich mich sexuell neu orientiert habe und dir meinen Freund vorstellen wollte. Die Vorgänge rund ums Essen und Trinken, das Wein-Verkosten und Zurückgehen-Lassen, das Sich-Bekleckern, Verschlucken, auch das Wahrnehmen miserabler Tischsitten beim Gegenüber, dass er z. B. mit vollem Munde spricht und ihn auch in Sprechpausen beim Kauen weit öffnet, sodass man den Speisen bei der Breiwerdung zusehen kann, haben ei-ne psychische Pufferfunktion, helfen uns die schlechten oder auch guten Nachrichten zu verdauen, das verschafft uns Bedenkzeit und beugt Übersprungshandlungen vor, zu denen es bekanntlich kommt, wenn überstarke Er-regung nicht vollständig entladen werden kann und auf andere Verhaltensmuster über-springt. Dies erweckt dann oft den Eindruck irrelevanten Verhaltens, wie der Tierpsycho-loge sagt, und das wollen wir ja nicht.
Wenn man alleine essen geht, kann man sich über sechs Gänge hinweg rauschend mit Mutmaßungen darüber amüsieren, in welcher existenziellen Grundsituation die anderen Gäste sind. Auch das Personal ist steter Quell der Kurzweil. Fall eins: Eine wunderschöne Kellnerin serviert indiskutables Essen. Das kennen wir von jedem längeren Flug. (Ich habe mich ohnehin immer gefragt, warum Stewardessen so schön sein müssen. Es ist für viele junge Mädchen ein Traumberuf, die meisten sehen halt nicht so 91
toll aus und werden abgelehnt. Warum? Ei-ne Stewardess bringt Getränke – deswegen der Spitzname »Saftschubse« – oder Essen auf Rädern. Dieses Essen schmeckt scheiße.
Warum muss sie so schön sein? Es gibt keinen Grund, im Gegenteil, der optische Gegensatz zwischen Nährschlamm und Liefe-rantin macht alles nur noch schlimmer. Eine Stewardess sollte nicht so hässlich sein, dass die Kinder Angst kriegen und anfangen zu weinen, und nicht so dick, dass sie nicht mehr durch den Mittelgang passt, alles andere ist Luxus, basta.) Zurück ins Lokal.
Wie gesagt: schöne Frau, schlechtes Essen.
Hier bin ich gefordert, ich kann die Pampe nicht durchgehen lassen, möchte aber die Kellnerin für mich einnehmen. Also sage ich, wenn sie kommt und: »Ist alles recht?«
fragt: »Nein, es läuft grundlegend falsch. Sie werden zurückgehen in die Küche, dieses Essen wird bei mir bleiben. Es müsste an-dersrum laufen. Ich werde mir jetzt ein Lokal suchen, in das Sie besser passen, und wenn ich es gefunden habe, komme ich und hole Sie.« Wenn sie jetzt sagt: »Häh?«, hat sich wieder einmal bestätigt: Schönheit ist nicht alles, also zu Fall zwei: Die Kellnerin wird es voraussichtlich auch auf kommuna-ler Ebene bei keiner Misswahl aufs Treppchen schaffen, aber das Essen ist großartig.
Und sie weiß es. Und sie ist stolz darauf, denn der Koch ist ihr Mann oder Vater oder war früher ihr Beichtvater, bevor er den Beruf wechselte. Und sie strahlt von innen und alles passt. Keine unkeuschen Gedanken lenken von einem perfekten Genuss ab, der 92
sich bei mir immer dann einstellt, wenn ich sagen kann: So gut würde ich das im Leben nicht hinkriegen.
Fall drei ist das Szenerestaurant mit studenti-scher Bedienung. Da hilft auch das bauch-freie Top nicht, wenn der Dialog wie folgt läuft: »Was hattest du?« – »Bifteki.« – »Oh, dann hab ich das wohl falsch gebongt, ist Moussaka auch o. k.?« – »Nein.« – »Men-noooo … das dauert dann aber jetzt, das ist dir schon klar, oder?« Ab und zu brauche ich das, um geschultes Personal anschließend wieder gebührend würdigen zu können.
Ansonsten bin ich ein großer Fan der Im-bisskultur. Der besondere Charme dieses Gastronomiezweiges manifestiert sich ja vor allem in seiner ganz eigenen Sprache.
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