Sie und Er Botschaften aus parallelen Universen
nächste logische Schritt wäre nun eigentlich das Aufessen gewesen.
Was war los?
Hatten wir nicht vor zweieinhalb Stunden Hunger gehabt? Wo war der geblieben? Ich schaute auf dem Boden nach. Vielleicht war er herunter gefallen? Aber nein, auch auf dem Boden nur Bilder und Brotkörbchen.
Also gut, wir rissen uns zusammen und pro-bierten unsere Gerichte. Das Besteck fiel uns fast zeitgleich aus den Händen. Es schmeckte nicht, und die beiden verwand-ten, inzwischen mit Rotwein versorgten Herren zuckten entschuldigend mit den Schultern. Sie schienen offensichtlich mehr zu wissen als wir, und wenn sie uns früher am Abend dazugesetzt worden wären, hätten wir bestimmt zusammen irgendwo lecker essen gehen können. Wir bestellten die Rechnung. Es kam Teresa.
Zunächst wies sie ihre italienischen Bluts-87
brüder an, sich anderswo niederzulassen, schaute vorwurfsvoll auf die noch vollen Teller, dann auf uns und meinte, das sei aber schade. Das fanden wir eigentlich auch. Na-türlich interessierte es sie überhaupt nicht, aus welchem Grund wir nichts gegessen hatten, insoweit konnten wir ihrem gastro-nomischen Konzept bereits folgen. Stattdessen erklärte sie uns, dass sie Essen nicht wegwerfen könne, wie löblich, zog sich die vollen Teller heran und schob nun alles Üb-riggebliebene, welch ein Graus, auf einem Teller zu einem großen Berg zusammen.
Dann kam Alufolie darüber, die sie unter ihrer Schürze hervorzauberte, und wir hatten ein Doggy-Bag. Teresa strahlte. War sie nicht eine hervorragende Gastgeberin, die wirklich an alles dachte? Nachdem wir die Rechnung beglichen hatten, verließen wir fluchtartig das Lokal. Wir hatten kaum fünf Schritte in die Freiheit gesetzt, als die Tür erneut aufgerissen wurde und Teresa hinter uns herbrüllte, warum wir ihr nicht Auf Wiedersehen gesagt hätten. Sie war zwar –
für uns unsichtbar – in ihrer Küche gewesen, aber das ließ sie nicht gelten. So mussten wir uns erst noch von ihr abküssen lassen, bevor wir endgültig gehen durften. Das war selbstverständlich ein unverzichtbarer Bestandteil ihres Full-Service. Wie konnten wir das vergessen?
Wir vier trafen uns am nächsten Tag wieder.
Wir hatten allmählich sämtliche Irritationen des Magen-Darm-Traktes halbwegs überwunden und fragten uns: Warum wollte Te-88
resa aus Umbrien uns umbringen? Die Antwort fiel uns gleichzeitig wie Schuppen von den Lippen. Das nennt man heute Erlebnis-Gastronomie.
ER Gastronomie
Wie mag das erste Restaurant der Mensch-heitsgeschichte entstanden sein? Ich denke, irgendein Urhordenmitglied bekam ständig zu hören: Also phänomenal, bei meiner Frau ist die Bisonlende immer total verbrannt und bei deiner nur halb, echt lecker, kann ich morgen wieder bei euch essen? Und unser Mann sprach die bedeutungsschweren Worte, die eine der schillerndsten Zünfte überhaupt auf den Weg bringen sollten: Alte, ich hab's, wir machen eine Drei-Sterne-Höhle auf. – Häh? – Na, son Dings, wo unsere Nachbarn was bezahlen, nachdem sie sich vollgefressen haben, anstatt immer für lau zu spachteln! – Ach, du meinst ein Restaurant? – Oder so! Und was täten wir, wenn es nicht so gekommen wäre? Nachdem die erste Fresshöhle eingeschlagen hatte wie ein Meteorit, folgten ihr zum Glück alsbald weitere, mit anderen Steinzeitspezialitäten wie Schnecken, Würmern, Säbelzahntigerhoden für die Potenz, Mammutkutteln, Familien-spiegelei vom Strauß, Bärentatzen, in denen die Maden wibbelten (ein Rezept, das sich sogar noch bei Karl May findet), und vieles andere mehr. Die ersten Fressführer erschienen: Männer, die einen gegen Geld tagelang durchs Neandertal führten, dorthin, wo gerade wieder eine neue Prasserie eröffnet hat-89
te. Junge Burschen gab es plötzlich, die einem mit charmantem Lispeln zeigten, wie man mit wenig Aufwand lecker kochen
kann. Von reisenden Händlern gab es über-teuerte Kochgeräte zu kaufen, Gewürze mit Wunderwirkung, Diäten natürlich – Koch-bücher noch nicht, die kamen erst später, nachdem Buchhandel und nicht zuletzt
Schrift erfunden waren, die Rezepte gingen damals noch von Mund zu Mund.
Welch einfache und doch brillante Idee! Ich tue Dinge mit dir, die ich sonst nur mit guten Freunden tue; weil ich dich aber gar nicht kenne, nehme ich Geld dafür. Besonders Pfiffige werden jetzt rufen: Aber genauso funktioniert doch Prostitution!
Stimmt, die wurde ja auch zeitgleich erfunden, vermutlich von Frauen, die nicht kochen konnten, aber darum geht es hier
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