Sie und Er
Flöckchen. Beide nehmen andächtig ein Löffelchen voll, kosten schweigend.
Er hebt den Blick. »Hey, Brighteyes!« Er streckt die Hand aus und streicht ihr über die Wange.
»Warum?«, sagt sie, das Eislöffelchen halb in der Luft. Sie fragt sich warum, warum, warum.
»Ich habe noch nie zuvor so leuchtende Augen gesehen«, sagt er. »Bright eyes.«
Sie fixiert ihn, und ihr ist, als sähe sie ihn jenseits des Ausdrucks, den er gerade hat, jenseits seiner Art, ihr gegenüberzusitzen, jenseits dessen, was er sagt.
Sie verlassen das Restaurant
Sie verlassen das Restaurant, gehen der Musik nach die Hauptstraße des Dorfes entlang; leicht unsicher auf den Beinen, benommen von den Dingen, die sie einander gesagt, und dem Wein, den sie getrunken haben, von der schwülen Luft, dem schrägen Trottoir. Er kann es nicht glauben, wie anders sich dieser Weg jetzt anfühlt, den sie ja auch heute Morgen gegangen sind: wie viel tiefer die Spannung ist, die sie jetzt verbindet. Diese Vorstellung erstaunt und besorgt ihn, doch hat er gerade nicht viel Platz für Gedanken, er ist fast ausschließlich mit Empfindungen beschäftigt.
Sie kommen an den zwei Cafés und dem alten Hotel mit seinen Tischchen auf der anderen Seite vorbei, an dem Rathaus mit seinen Säulen und den für den Sommer gehissten Stoffbannern, den Maklerbüros mit ihren beleuchteten Schaufenstern voller Fotos und Beschreibungen, die lauter mögliche Leben feilbieten. Sie bleiben da stehen, wo die Klänge des Elektrobasses und des Schlagzeugs herkommen, auf dem Platz, der heute Morgen von Obst- und Gemüseständen besetzt war und wo nun ein hölzernes Podest aufgebaut ist, auf dem die Leute vor einem kleinen Orchester tanzen. Zwei Sängerinnen in engen Jäckchen und kurzen Röcken bewegen sich im Gleichschritt, begleitet von einem Keyboarder, einem Gitarristen, einem Akkordeonspieler, einem Bassisten und einem Saxophonisten in auberginefarbener Uniform mit Goldtressen. In voller Lautstärke spielen sie ihre Versionen von Walzern und Mazurkas und Foxtrotts und Popsongs, die am anderen Ende der Straße so undeutlich klangen wie Unterseegeräusche, hier aber durchaus rhythmische, erkennbare Formen annehmen.
Sie und er lehnen sich an ein Absperrgitter und sehen den älteren Paaren zu, die über das Podest gleiten, den Müttern mit Kindern, den kleinen Jungen und Mädchen, die am Rand drollige Bewegungen vollführen; sie klatschen mit den anderen Zuschauern, wenn ein Stück zu Ende ist. Dann kommt wieder ein Walzer, er packt sie unvermutet am Handgelenk und zieht sie auf die Tanzfläche. Zuerst bewegen sie sich ein bisschen unsicher, was den Rhythmus angeht, dann gewinnen sie Schwung, werden allmählich gelöster. Er hält sie um die Taille gefasst, beginnt, sie im Kreis zu führen, lässt sie mit wachsender Kraft herumwirbeln »Hey!«, ruft sie, versucht aber nicht zu bremsen; sie stolpern ein paarmal, beschleunigen erneut, setzen alle Muskeln ein, Wange an Wange. Keiner von beiden kann wirklich Walzer tanzen, doch sie gleichen ihre technischen Mängel durch die Körperenergie aus, die sich in ihnen angesammelt hat: Engumschlungen drehen sie sich rasch im Kreis, auf der Welle der Musik, die unter den Verstärkern die Luft in Schwingung versetzt. Ab und zu stoßen sie mit anderen tanzenden Paaren zusammen; einige Köpfe drehen sich um, aber alle sind eins in der Kreisbewegung: einzelne Drehungen in der allgemeinen Drehung. Er dürfte sich eigentlich nicht darüber wundern, wie gut sie der Musik folgt, denkt er, denn er hat sie ja am Strand tanzen und in dem Flüsschen schwimmen sehen, dennoch ist er beeindruckt von ihrer Elastizität, von ihrer Anmut, von dem lebhaften Vergnügen, das in ihren Augen blitzt. Auch die Proportionen stimmen, so eng umschlungen: das Verhältnis von Gewicht und Größe stimmt, an Hüften und Schultern berühren sie sich an der richtigen Stelle. Sie drehen sich ganz natürlich, und die Natürlichkeit verleiht dem Tanz immer neuen Schwung, lässt sie im doppelten oder dreifachen Tempo der anderen Paare über die Tanzfläche wirbeln. Sie vertraut sich seinen Armen an; Kreis um Kreis umrunden sie die hölzerne Plattform, ohne sich darum zu kümmern, die richtigen Bewegungen auszuführen, mitgerissen von der Dynamik des Walzers.
Als der Walzer zu Ende ist, lehnen sie sich lachend, schwer atmend und verschwitzt aneinander. Doch bleibt ihnen keine Zeit zum Verschnaufen, weil die Musik sofort in einem viel schnelleren und drängenderen
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