Sie und Er
immer auf sie wartete, taucht in ihrem Gedächtnis auf wie ein Relikt aus einer Vergangenheit, die nicht mehr zu ihr gehört.
»Ciao, Mäuschen«, sagt Stefano. »Gute Reise. Ich habe schon solche Sehnsucht nach dir.«
»Ciao«, antwortet sie mit glühenden Wangen, so erledigt, als hätte sie gerade einen Krieg verloren.
Sie geht zurück in die Toilette, dreht den Hahn auf, schüttet sich Wasser ins Gesicht, auf die Haare und auf das T-Shirt, trocknet sich nicht einmal ab. Tropfend durchquert sie erneut die dämmrige Gaststube, tritt mit unsicherem Schritt in das unbarmherzige Licht des Platzes hinaus, stolpert über einen unebenen Pflasterstein.
»Hey, alles in Ordnung?«, sagt er, als er sie kommen sieht. Er nimmt die Sonnenbrille ab und beugt sich auf dem Stuhl vor, um ihren Gesichtsausdruck zu erforschen.
»Ja, ja.« Sie setzt sich, betrachtet die beiden Biergläser, die auf dem Tischchen stehen; beschlagen, leuchtend, mit weißen Bläschen, die vom Grund zur Oberfläche aufsteigen, wo inzwischen kein Schaum mehr ist.
»Sicher?« Er sieht sie forschend an.
»Nein.« Sie schaut ihm in die Augen, von einem inneren Zittern erfasst, das sie nicht stoppen kann; niedergeschlagen lehnt sie sich an seine Schulter, drückt seinen Arm so fest, dass es ihm vermutlich weh tut.
Durch den Filter der Sonnenbrille betrachtet er die Straße
Durch den Filter der Sonnenbrille betrachtet er die Straße; ihm ist, als sei er geistig nicht genügend vorbereitet auf die Lage, in der er sich befindet. Bisher neigte er dazu, rechtzeitig aus einem Zustand herauszuspringen, wenn es unbehaglich wurde, Zuflucht zu suchen bei den Überraschungen des Neuen oder der erholsamen Leere der Einsamkeit, die Sehnsucht auszulöschen, wieder bei null anzufangen. In seinen Büchern und in Gesprächen mit Freunden und Geliebten hat er dieses Verhalten auch gelegentlich theoretisch untermauert und recht faszinierende Varianten erarbeitet. Jetzt aber steckt er bis zum Hals in einer Situation, die sehr bald übel ausgehen wird, und ist völlig unfähig, eine Strategie zu entwerfen, um unbeschadet herauszukommen.
Sie wirkt ebenso angespannt, hinter ihrer ebenso dunklen Sonnenbrille versteckt: Sie lockert sich mit zwei Fingern die Haare, schaut in die Landschaft. Wahrscheinlich denkt sie an ihren spießigen Mailänder Anwalt, der sie erwartet, um sich ihr zu widmen wie einem Eingliederungsprojekt, mit dem Ziel, ihre wunderbaren Unebenheiten eine nach der anderen abzuschleifen.
»Du bist einfach zu schnell bereit, andere zu verstehen«, sagt er unvermittelt.
»Nun, die haben auch ihre Gründe«, sagt sie.
»Das heißt nicht, dass du ihnen beipflichten musst«, sagt er. »Du musst es ja nicht wahllos jedem recht machen.«
»Wahllos bestimmt nicht.« Mit einer Hand streicht sie die Haare zurück, die ihr ins Gesicht flattern.
»Und was ist mit dir?« Er hebt die Stimme, um das Geräusch des Windes und der Reifen auf dem Asphalt zu übertönen. »Du hast doch auch deine Gründe. Warum hörst du nicht darauf?«
»Ich versuche es«, sagt sie.
»Aber das reicht nicht.« Gereiztheit kommt in ihm auf, gemischt mit Beschützerinstinkt und dem Wunsch, auf Distanz zu gehen: Die drei Elemente vertragen sich nicht, sie zerren an seinen Nerven.
»Was weißt du denn schon?« Sie hat das Profil einer Frau, die sich immer allein durchgeschlagen hat; einer Frau, die anderen zu sehr vertraut, ohne sich die Folgen klarzumachen.
»Ich weiß es einfach.« Er würde sie gern vor den endlosen Forderungen anderer Männer bewahren, vor dem ständigen Druck, vor den Gefahren, denen ihre weibliche Anpassungsgabe sie aussetzt.
»Das stimmt nicht«, sagt sie: teils zerbrechlich, teils hart, eine Frau, die arbeitet, seit sie sechzehn ist, die mit zwanzig aus ihrem Land weggegangen ist.
»Du lässt dich zu leicht erpressen«, sagt er. »Du glaubst, die anderen wüssten mehr als du und könnten dir etwas beibringen.«
»Was sollte ich denn deiner Meinung nach machen?«, sagt sie.
»Du solltest dich wehren, mit aller Kraft!«, sagt er. »Auf dein Recht pochen, so zu sein, wie du bist, und niemandem erlauben, dich ändern zu wollen.«
»Und was tust du gerade?«, sagt sie.
»Ich will dich zur Vernunft bringen!« Er fühlt sich in der falschen Rolle. »Dich verändern bestimmt nicht!«
»Aber gerade hast du behauptet, ich müsste anders sein!«, sagt sie. »Wie alle!«
»Ich sage nur, dass du sein sollst, wie du bist!« Er spricht noch lauter. »Wer wären
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