Sie und Er
überhaupt diese alle?«
»Ihr, ihr Männer!« Selbst wenn sie so in die Enge getrieben wird, verliert ihre Stimme nicht die Musikalität.
»Ich habe nichts mit den anderen Männern gemein!«, sagt er. »Ich möchte nur, dass du überlegst, wie deine eigenen Vorstellungen aussehen, welches deine eigenen Gründe sind! Dass du sie gelten lässt!«
»Gibt es nicht schon genug Leute, die nur ihre Gründe gelten lassen?«, fragt sie.
»Und deswegen musst du die der anderen gelten lassen?«, fragt er zurück.
Sie starrt schweigend vor sich hin.
»Auch Attila hatte seine Gründe!«, sagt er. »Er war in Familienfehden hineingeboren, in den windgepeitschten Steppen des Ostens, der Ärmste!«
Sie lächelt wider Willen. »Wenigstens habe ich nichts mit Attila zu tun.«
»Du hast es mit einem Blödmann zu tun«, sagt er. »Was schlimmer ist.«
»Stefano ist kein Blödmann!«, sagt sie. »Es gefällt mir gar nicht, dass du so denkst! Es ist, als würdest du mich auch für blöd halten!«
»Schon gut, schon gut«, sagt er beschwichtigend. »Aber wie willst du einen, der dir ein Leben anbietet, das dir überhaupt nicht entspricht, denn sonst nennen? Einen, der deine Erkenntnis, anders zu sein, ausnutzt, um dich zu verunsichern und Macht über dich zu gewinnen?«
»So ist es nicht.« Sie schaut nach vorn, auf die Straße, die sie unerbittlich nach Mailand führt.
»Doch, bestimmt.« Anstatt sie in diesem anklagenden Ton zu bedrängen, denkt er, sollte er versuchen, ihr mehr Sicherheit zu geben, ihr praktikable Alternativen aufzuzeigen, konkrete Vorschläge auf den Tisch legen. Doch er weiß nicht, ob ihr das helfen würde und ob er sich dann nicht gleich wieder in der Falle fühlt, wie schon so oft.
»So ist es nicht«, wiederholt sie eigensinnig. Sie betrachtet die Weinberge zu ihrer Rechten, die von der Sonne vergilbten Blätter, die rote Erde.
»Was bietet dir denn dein Rechtsanwalt?« Ihm ist klar, dass sein Beschützerinstinkt mit leider recht primitiver Eifersucht aufgeladen ist: mit Besitzanspruch, dem Instinkt, das Weibchen zu packen und der Konkurrenz zu entziehen.
»Das, was er hat«, sagt sie. »Sein Leben.«
»Das mit deinem nichts zu tun hat.«
»Was weißt du denn schon?«, sagt sie erneut, und es ist eine echte Frage: offen, eindringlich.
»Ich kenne dich«, sagt er.
Sie fixiert ihn: »Du kennst mich, weil wir eine Nacht zusammen im Bett waren?«
»Zwei N ächte«, sagt er.
»Ach, natürlich«, sagt sie.
»Außerdem kenne ich dich schon viel länger, falls du es
wissen willst!«, sagt er, ohne vorher eine Sekunde nachzudenken.
»Wie lang?« Sie sieht ihn unverwandt an. »Schon bevor ich dich getroffen habe.« Seine Stimme bebt.
Sie beißt sich betroffen auf die Lippen. »Und wir waren nicht einfach nur zusammen im Bett, du und ich«, sagt er.
»Nein?«, fragt sie erwartungsvoll.
Er sucht nach einer Definition, aber seine widerstreitenden Gefühle hindern ihn am Denken. Das Spinnrad auf dem Rücksitz knarrt und klappert bei jeder Unebenheit des Asphalts, als wollte es gleich davonfliegen. Er bremst, biegt rechts in einen ungepflasterten Weg ein, holpert durch ein Steineichenwäldchen, fährt noch ein paar Meter, bis er an sanft abfallenden Weinbergen herauskommt, hält.
Durch die Staubwolke, die sie eingeholt hat, sehen sie sich an, beide mit starrem Gesicht. Der Staub legt sich; die Luft ist unbewegt, glühend heiß, rundherum hört man nur das Kreischen der Zikaden.
»Was ist denn dann passiert?«, sagt sie. »Wenn wir nicht einfach nur zusammen im Bett waren?« Jetzt wirkt ihr Gesichtsausdruck verzweifelt: Ihre schön geschwungenen Lippen zittern.
Er bemüht sich immer noch, Worte zu finden, um zu beschreiben, was passiert ist, aber es will ihm nicht gelingen; dann bemerkt er, dass das eine Glas ihrer Sonnenbrille einen kleinen Sprung hat, und das verschärft seine Sorge um sie aufs Äußerste. Er streckt die Hand aus, berührt ihre Schläfe: »Viel mehr.«
Sie beißt sich auf die Lippen.
»Du weißt es genau«, sagt er. »Du hast es ja auch gespürt.« Jetzt wartet er genauso gespannt auf eine Antwort wie vorher sie.
»Ja«, sagt sie zuletzt. »Aber dann?«
»Was, dann?« Er nimmt die Sonnenbrille ab, fixiert sie. Die Hitze ist unerträglich, das Hemd klebt schweißnass an seinem Rücken, Fliegen und Bremsen umkreisen sie, die Zikaden sägen immer weiter.
»Was wird aus uns?«, fragt sie.
Er schüttelt den Kopf: »Vorhersagen oder langfristige Pläne zu machen war noch nie meine
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