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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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Typen mit dem Spitzbart: »Kennt ihr euch? Daniel Deserti, Pino Noce?«
    »Nein«, sagt Deserti.
    »Den Namen selbstverständlich!« Pino Noce springt auf, drückt Deserti die Hand und schüttelt sie viel zu lange. »Ich bin ein ganz großer Fan von Ihnen!«
    »O wie schön«, sagt Zattola hochzufrieden, als hätte er diesen Überraschungsmoment extra eingeplant.
    »Ich schwöre es, schon immer!«, sagt Pino Noce, an alle beide gewandt, als wollte er sich doppelte Verdienste erwerben. »Ich habe alle Ihre Bücher gelesen! Alle!«
    Deserti zieht seine Hand zurück, unangenehm berührt von Pino Noces Ausdauer, vom kalten Glitzern in seinen kleinen braunen Augen, seiner zudringlichen Art.
    »Der Riss, Die kurze Kette, Der Blick des Kaninchens, Falscher Schritt, Notizen aus dem Nichts«, sagt Pino Noce in einem Atemzug, mit einer Art kindlicher Verlegenheit, die zu seiner Kleidung passt und wahrscheinlich wie alles Übrige an seiner Person genau berechnet ist, um komisch, sympathisch, frech, bescheiden, ehrlich und sexy zu wirken.
    »Des Hasen«, sagt Deserti trocken.
    »Der Blick des Hasen, genau!«, sagt Pino Noce. »Der Blick des Hasen, Der Blick des Hasen!« Er schlägt sich mit der flachen Hand an die Stirn, wie ein ehrgeiziger, aber schlecht vorbereiteter Student, der ertappt worden ist.
    »Na ja, das kann man schon mal verwechseln.« Zattola versucht, ihn in Schutz zu nehmen. »Es sind schließlich Tiere aus derselben Familie. Ehrlich gestanden weiß ich gar nicht, ob ich ein Kaninchen von einem Hasen unterscheiden könnte.«
    »Du vielleicht«, sagt Daniel Deserti.
    »Das ist die Aufregung, Ihnen persönlich zu begegnen!«, sagt Pino Noce. »Ich habe das Buch bestimmt dreimal gelesen, Der Blick des Hasen, selbstverständlich erinnere ich mich an den Titel!«
    Deserti lächelt nicht, bemüht sich keineswegs, ihm aus der Verlegenheit zu helfen, sondern studiert aufmerksam seine Schuhe.
    »Wie geht es dir?«, fragt Zattola; er starrt auf Desertis Pflaster, fasst sich an der entsprechenden Stelle an den Kopf.
    »Ausgezeichnet«, sagt Deserti.
    »Wir haben uns Sorgen gemacht«, sagt Zattola.
    »Wir?« Er runzelt die Augenbrauen und denkt, wie unwahrscheinlich es ist, dass Zattola sich je um ihn oder sonst irgendwen Sorgen gemacht hat, nicht einmal um sich selbst.
    »Was macht das neue Buch?« Zattola geht nicht auf seinen Einwand ein. »Wie kommst du voran?«
    »Gibt es einen neuen Roman?«, platzt Pino Noce ganz kindlich aufgeregt heraus. »Darf man den Titel schon im Voraus erfahren?«
    »Nein«, sagt Deserti.
    »Hast du immer noch die Vorstellung von einem Roman-Essay?« Seit Jahren versucht Zattola ihn unauffällig anzustacheln, wieder einen Bestseller zu liefern, der die Herzen der Massen erobern kann. »Glaubst du nicht, dass die Zeit reif wäre für eine Rückkehr zum Roman tout court?«
    »Reden wir vielleicht ein andermal drüber?«, sagt Deserti. »Unter passenderen Umständen?«
    Endlich nickt Zattola und wendet seinen Blick einem rechteckigen weißen Kunststoffgehäuse zu, über das Pino Noces Finger streifen, als ob es kostbar wäre.
    »Was ist das?«, fragt Deserti kein bisschen interessiert.
    »Das Ende der Bücher«, erwidert Zattola: die dramatische Kraft der Aussage zunichtegemacht von der Stumpfheit seines Blicks. »Oder jedenfalls des Verlagswesens, so wie wir es kennen.«
    »Sagen Sie das nicht, Dottor Zattola«, flötet Pino Noce mit Glockenstimme, die nur teilweise seine unterwürfige Haltung zu kaschieren vermag.
    »O doch«, sagt Zattola. »Warte nur, bis sich die Sache etwas mehr durchsetzt, und schon fangen die Autoren, die auch nur eine kleine Leserschaft haben, an, ihre Verträge direkt mit den elektronischen Vertrieben abzuschließen. Dann sind wir draußen.« Mit der blassen, dicklichen, im Vergleich zu seinem Körper kleinen Hand mimt er einen Schnitt.
    »Aber ihr seid doch schon draußen«, sagt Deserti.
    »Nun, vielleicht noch nicht ganz.« Zattola verzieht die feuchten Lippen zu einem schwachen Lächeln.
    »Dieser Verlag gehört einem multinationalen Konzern, der Möbel herstellt«, sagt Deserti.
    »Er gehört zu einer internationalen Verlagsgruppe«, erwidert Zattola aus seinem Bunker wirtschaftlicher Sicherheit und emotionaler Gleichgültigkeit heraus.
    »Und die gehört einem multinationalen Konzern, der Möbel herstellt«, wiederholt Deserti. Er denkt an den Abstieg, den der Verlag innerhalb von drei Generationen Zattola erlebt hat, von Armando senior über Edgardo bis zu Armando

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