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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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betritt, findet er die kalte Beleuchtung unerträglich, die Reflexe auf dem Marmorfußboden, das graue Gesicht des Portiers, der jetzt das Pflaster an seinem Kopf betrachtet, ihn fragt, wen er sprechen möchte, einen Ausweis verlangt. Er stützt sich mit einer Hand auf die Theke, schaut die Drehkreuze aus Stahl an, die den Weg zu den Aufzügen versperren, stellt sich vor, mit einem Satz darüberzuspringen, obwohl er gerade nicht in der besten körperlichen und geistigen Verfassung dazu ist. Widerwillig zieht er seinen abgegriffenen, an den Ecken verschlissenen Personalausweis hervor, wartet mit wachsender Wut, während der Portier seine stumpfsinnigen Telefonkontrollen durchführt. Er denkt an die unterschiedlichen Stimmungen, mit denen er im Lauf der Jahre diesen Eingang betreten hat, und kann nur staunen.
    Zuletzt reicht ihm der Portier gnädig ein steifes Plastikkärtchen mit Magnetstreifen. Deserti reißt es ihm aus der Hand, schiebt es patzig durch das Lesegerät, das den Metallstift am Drehkreuz löst und es dem Druck seiner Beine freigibt. Dann geht er zu Fuß drei Stockwerke hinauf, weil er schon immer ein Problem mit Aufzügen hatte.
    Im dritten Stock studiert er einige Sekunden die Tür mit dem Schriftzug Zattola aus Messing: das Z mit dem glänzenden unteren Querstrich, der bis zum zweiten A reicht.
    Drinnen an dem halbrunden Tisch mit den Telefonen sitzt Caterina, die Sekretärin. Sie hebt den Blick, sagt: »Guten Tag«, und lächelt mechanisch. Vor ein paar Jahren hatte er sie zum Abendessen eingeladen; prompt und knapp und deutlich hatte sie geantwortet, sie könne nicht. Seither beschränkt sich ihre Beziehung auf reinen Informationsaustausch, so wie jetzt. »Armando?«, fragt er.
    »Dottor Zattola ist beschäftigt«, antwortet sie. »Noch lange?«, fragt er. »Ja«, sagt sie.
    »Gut, ich warte«, sagt er, macht ein paar ziellose Schritte und mustert Caterina aus dem Augenwinkel, um zu begreifen, wie es ihm bloß in den Sinn kommen konnte, sie zum Abendessen einzuladen. Vielleicht wegen der kurzen Linie ihrer Stirn, der ziemlich energischen Form ihres Unterkiefers, der Art, wie sie mit ihrem Blick ein ungewöhnlich hohes Desinteresse für alles, was nicht zu ihrem engsten Aufgabenbereich gehört, an den Tag legt.
    »Er ist auch zum Mittagessen verabredet«, sagt sie jetzt, hebt kaum den Blick von ihrem halbrunden Tisch.
    »Mit wem?«, fragt er.
    Sie schaut ihn an, als hätte sie nicht die Absicht, es ihm zu verraten. »Mit Pino Noce«, sagt sie.
    »Dem Schwachkopf vom Fernsehen?«, sagt er.
    Caterina antwortet nicht, zuckt nicht mit der Wimper; sie schreibt oder tut so, als schriebe sie etwas auf ein Blatt.
    »Der König der hirnlosen Dreißigjährigen, der mittlerweile auf die vierzig zugeht?« Er lacht. »Hat er wieder ein Meisterwerk geschrieben? Müssen sie darüber sprechen?«
    Caterinas Miene wird noch undurchdringlicher, sie antwortet an einem der Telefone. Im Flur erscheint rechts die elegante Gestalt von Roberta Colajanni von der Presseabteilung in einem haselnussbraunen Kleid mit rotem afrikanischem Muster.
    »Hallo«, sagt er, tritt auf sie zu.
    »Oh, ciao!« Roberta schwankt sichtlich zwischen verschiedenen möglichen Reaktionen, dann kommt sie mit einem Ruck auf ihn zu, als hätte sie einen kleinen Widerstand überwunden, küsst ihn auf beide Wangen, smack, smack.
    »Wie geht’s?«, sagt er, unschlüssig, wie viel Druck er mit seinen Fingern auf ihren linken Arm ausüben soll; er lockert den Griff.
    Roberta schaut ihn mit ihren leicht ungleichen Augen an; ihre blonden Haare sind von einem guten Friseur geschnitten, wie immer. Sie betrachtet das Pflaster an seinem Kopf, tritt einen halben Schritt zurück, um einen besseren Gesamteindruck zu bekommen. »Wir haben von dem Unfall gehört, du Ärmster! Alles in Ordnung?«
    »Ja, ja, alles in Ordnung.« Deserti fällt ein, wie sie vor etwa fünf Jahren in einem großen Hotel in Rom zwei Zimmer nebeneinander hatten und er ihr gegen Mitternacht mit einer Flasche Champagner einen Besuch abgestattet hat, nachdem er vorher schon mit einer grässlichen Journalistin eine Flasche in der Bar geleert hatte, und wie er dann auf dem Teppich zusammengebrochen ist nach einem einzigen Kuss, schleimig und lau wie die Begegnung zweier Schnecken. Ihm fällt die Enttäuschung in ihrem Blick am anderen Morgen beim Frühstück ein, während sie ihm das Interviewprogramm des Tages vorlas.
    »Was machst du hier?«, fragt Roberta: liebenswürdig, distanziert.
    »Ich

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