Sie und Er
in die Richtung«, sagt Deserti. Wie jedes Mal scheint es ihm, dass zwischen einer Entscheidung und ihrem Gegenteil ein besonderer Freiraum existiert, den man möglichst genussvoll auskosten muss.
Sie gehen den Bürgersteig entlang, Deserti vorneweg mit Pino Noce, der sich an ihn hängt, Zattola einen halben Schritt hinterher mit seinem Gang eines Luftschiffs, vertieft in ein Gespräch am Handy und in die Aufgabe, seinen Bauch durch die Gegend zu schieben. Seit je hat seine Art zu gehen Daniel Deserti fasziniert, aber auch Pino Noces Gang ist aufschlussreich: Schleppende Schritte wechseln ab mit kindischem Gehüpfe und flüchtigen Momenten der Ernsthaftigkeit. Viele Passanten erkennen ihn, drehen sich nach ihm um, machen einander auf ihn aufmerksam: eine Kielspur von Blicken, von Menschen, die ihren Gesichtsausdruck verändern, die plötzlich stehen bleiben. Pino Noce grüßt mit kleinen Handbewegungen, Daumen nach oben, sagt »Hey!«, die Brille leicht anhebend, um ein paar Mädchen zuzuzwinkern. Gleich darauf sieht er Deserti achselzuckend an, als wolle er sagen, er könne ja nichts dafür, dass er ein Star ist, im Radio, im Fernsehen, im Film, in der kommerziellen Literatur und allem anderen, was mit seinem Namen und seinem Gesicht verkauft werden kann, dass er sich aber der Grenzen dieser Bekanntheit wohl bewusst ist und eigentlich sowieso nach Höherem strebt.
Deserti denkt, dass es ihm in letzter Zeit nicht gerade oft passiert, auf der Straße erkannt zu werden, und wenn, dann handelt es sich fast immer um verschämte, beinahe verlegene Annäherungen: Jemand tritt zu ihm und sagt leise, er habe den Blick des Hasen gelesen, drückt ihm die Hand und huscht davon. Kommt jemand, der auch eines der letzten beiden Bücher gelesen hat, ist der Austausch noch diskreter, geradezu konspirativ. Manchmal kennt einer sein Gesicht einfach aus der konfusen Galerie bekannter Gesichter, die er im Kopf hat, kann es aber nicht einordnen und fragt ihn:
»Habe ich Sie nicht schon irgendwo gesehen?« Gewöhnlich antwortet er: »Das glaube ich kaum«, und schüttelt den Kopf. Wenn man jedoch seit Jahren keinen echten Roman mehr schreiben kann aus Angst zu scheitern oder aus Mangel an Inspiration oder weil man sich nicht wiederholen will oder weil man nicht masochistisch genug ist und es mit dem Verkauf deiner Bücher stetig bergab geht, kann man andererseits nicht erwarten, von Massen von Bewunderern belagert zu werden. Wenn man außerdem noch beschließt, nicht im Fernsehen aufzutreten, um seine persönliche Würde zu wahren, wird man nun mal zum Phantom, wie Armando Zattola junior bestätigen könnte. Er fragt sich, ob bei dem Gefühl körperlicher Abneigung und kultureller Überlegenheit, das er Pino Noce gegenüber empfindet, nicht zumindest teilweise auch Neid mitspielt; ob er nicht in Wirklichkeit gern an seiner Stelle wäre, gern von jungen Mädchen und Kindern und Ladenbesitzern und Familienmüttern auf der Straße erkannt würde, um ihnen vom federnden Teppich der kritiklosen Popularität aus zu winken und zuzulächeln.
Pino Noce jedenfalls macht ihm gegenüber weiter mit seinem ehrerbietigen Theater, wahrscheinlich um zu zeigen, dass unter der kindlichen, oberflächlichen Seite unerwartet der ernsthafte Junge auftaucht, der die richtigen Bücher gelesen hat und eine authentische Werteskala besitzt, so dass man vielleicht aufhören sollte, ihn als rein kommerzielles Phänomen zu betrachten, und anfangen, ihn als Schriftsteller ernst zu nehmen. Jetzt zum Beispiel dreht er sich um und sagt: »Mir persönlich hat ja auch Notizen aus dem Nichts irrsinnig gut gefallen. Wirklich ein Meisterwerk! Meine Güte, was da über die Welt von heute drinsteht, voll die Härte, peng, peng, peng, jeder kriegt was ab, puh! Die Kritiker haben das nicht bemerkt, aber wir wissen ja, wie die Kritiker sind.«
»Wie sind sie denn, die Kritiker?«, fragt Daniel Deserti. In Wirklichkeit hatten die Kritiker sein letztes Buch durchweg recht gut besprochen, es war zwar kein echter Roman und konnte vielleicht einige Probleme hinsichtlich der Einordnung aufwerfen, aber gewiss nicht den Eindruck erwecken, dass es ihm viel besser erginge als ihnen.
Statt einer Antwort zieht Pino Noce die Nase kraus und schürzt die Lippen, dann dreht er sich um, um den Gruß zweier Achtjähriger zu erwidern, die ungefähr so angezogen sind wie er. »Wissen Sie, wie ich auf Daniel Deserti gekommen bin?«, fragt er.
»Hm«, knurrt Deserti. Er kann es nicht ausstehen,
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