Sie und Er
hatte einen Termin mit Armando«, sagt er. »Aber offenbar ist er beschäftigt.«
»Ja, ich glaube, er hat Leute da.« Roberta zupft einen Träger ihres Kleides zurecht.
»Er hat keine Leute da«, sagt er. »Nur Pino Noce.«
Roberta lächelt, aber ihr Lächeln beinhaltet keine Stellungnahme. Ihre Komplizenschaft ist längst dahin, zusammen mit den anderen Gefühlen, die sie einen kurzen Augenblick füreinander empfunden hatten.
»Die neuen Fronten der italienischen Literatur, was?«, sagt er.
Roberta nickt und lächelt erneut absolut zweideutig. Sie zeigt den Flur hinunter: »Entschuldige, aber ich muss eine Unmenge Telefonate führen und habe solche Kopfschmerzen.«
»Ich habe auch Kopfschmerzen«, sagt er. Sie produzieren sich in einer noch stilisierteren Umarmung als vorher, Wange an Wange beinahe ohne Berührung, Lippen, die kleine Schmatzer hervorbringen.
Dann geht sie rasch davon, crick crock crick crock klappern ihre Absätze über das alte Parkett.
Er fragt sich, ob sein heutiges Leben besser wäre, wenn er in jener Nacht in Rom nicht auf dem Teppich zusammengesackt wäre, gleich nachdem er sie geküsst hatte - nein, meint er, und dennoch mildert das nicht das neuerliche Gefühl von Verschwendung.
Dicht an der Wand geht er zwischen Flur und Tür hin und her, versunken in das Klingeln der Telefone, das Vibrieren der Motoren und das Kreischen der Straßenbahnen unten auf der Straße und Caterinas Stimme, die auf ihre unpersönliche Art antwortet. Er betrachtet das Foto der Druckerpresse, damals für Armando Zattola senior die Ausgangsbasis, um den Verlag zu gründen, der achtzig Jahre später von seinem Enkel Armando Zattola junior für viele Millionen Euro und im Gegenzug für den weitgehend formalen und jederzeit widerrufbaren Titel des Verlagspräsidenten an einen multinationalen Konzern mit Sitz in Schweden verkauft wurde. Er mustert die Fotos der verstorbenen Autoren, Großaufnahmen allein oder mit dem damaligen Zattola, in den Räumen des Verlags, in historischen Mailänder Bars und Restaurants, auf der Insel Ponza in längst vergangenen Sommern. Er nähert sich, studiert eingehend die Bögen der Augenbrauen, die Bügelfalten der Hosen, die an den Schultern engen Jacketts, die Frisuren, die Blicke, die Haltungen, die Zigaretten in der Hand. Besonders beeindruckt ihn, dass es lauter Männer sind, abgesehen von einer einzigen Autorin mit imposanter Figur und der Frau des Verlegers mit Knoten im Nacken und später auf einigen Urlaubsbildern mit Ponyfransen über der Stirn und Hund im Arm, einem Epagneul Breton. Wie viel Trauriges ein Verlag in Jahrzehnten der Beziehungen zu seinen Schriftstellern ansammelt, denkt er: die Erklärungen für Kollegen und Leserschaft, die für Stilübungen ausgegebenen Macken, die als Verdienste getarnten Fehler, den in Auftritte verwandelten Elan, die Überzeugungen, die so lange wiederholt wurden, bis sie so hohl waren wie Kürbisse, die obsessiv verfolgten Ambitionen, die schließlich gebilligt und gedruckt und bewundert und diskutiert und nachempfunden und zuletzt in aller Stille in alphabetischer Reihenfolge archiviert und vom Staub der Zeit bedeckt wurden. Dieser Ort, so scheint ihm, ist eine Art Museum für Naturgeschichte, das fast nichts Natürliches hat; mit einer Abteilung für ausgestopfte Tiere und einer, die als Zoo eingerichtet ist für die, die noch leben. Unweigerlich dreht er sich um und geht durch den Vorraum direkt auf Zattolas Büro zu.
»Entschuldigung?«, sagt Caterina hinter ihrem Empfangstresen.
Er tut so, als hörte er sie nicht, biegt in den linken Flur ein, geht rasch durch zwei Türen, öffnet schwungvoll die dritte.
Armando Zattola junior sitzt an dem Schreibtisch, den sein Großvater in den sechziger Jahren angeschafft hat, um zu demonstrieren, dass er sich auskannte, was die Trends im Design anging. Er hebt den mild erstaunten Blick, lehnt sich in seinem Schwingsessel zurück, öffnet halb die Lippen. Auch der Typ, der vor ihm sitzt, dreht sich um: Er ist kahl geschoren und hat einen getrimmten Spitzbart, das Gesicht eines erfolgreichen Idioten. Er trägt ein weißes T-Shirt mit dem roten Schriftzug Fuck me, in den Lettern des Logos von Coca-Cola, dazu khakifarbene Kargohosen mit großen Taschen und weiße Schuhe mit sichtbar gefederten Sohlen.
Caterina erscheint atemlos in der Tür hinter Deserti: »Dottor Zattola, ich hatte ihm gesagt, dass -«
Zattola winkt ab und macht dann eine Handbewegung hin und her zwischen Deserti und dem
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