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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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angemachte Lichter, bis irgendwann einer stirbt. Sie schaut sich weiter um und nimmt unabsichtlich Einzelheiten wahr; eine Wohnung zu kaufen, denkt sie unwillkürlich, ist so, als kaufte man auch ein bisschen die Traurigkeit der vorherigen Bewohner. Um das zu vermeiden, müsste man erst mit einem Flammenwerfer durch alle Räume gehen, die Ablagerungen beseitigen, nur die nackten Wände, Decken und Fußböden übriglassen, wieder bei null anfangen.
    Stefano dagegen ist offenbar ausschließlich mit rein technischen Überlegungen befasst, während er halblaut mit seiner Mutter über die Größe der Zimmer und die notwendigen Umbauten diskutiert. Die beiden Panbiancos verstehen sich blind, auch wenn der Sohn die Einwände der Mutter nicht gelten lassen will und die Mutter sich über die scheinbare Voreiligkeit des Sohnes ärgert.
    »Die Küche ist zweifelsohne etwas merkwürdig«, sagt die Mutter. »So dreieckig geschnitten, ich weiß nicht.« Im Übrigen hat sie sich ihr Recht auf Kritik gesichert, da sie den Kauf mindestens zu einem Drittel finanzieren wird.
    »Die Küche ist völlig in Ordnung, Mama«, antwortet Stefano wie ein großer braver Junge, der sich respektvoll zu beherrschen weiß. »Ist doch schön, wenn sie nicht so konventionell ist, oder?« Er wirft Clare einen um Unterstützung heischenden Blick zu.
    Sie nickt, wahrscheinlich nicht begeistert genug.
    »Ob Sie’s glauben oder nicht, ich habe hier schon Abendessen für zehn Personen gekocht.« Die Hausherrin ist leicht pikiert.
    »Für ein junges Paar ist sie doch ideal«, wirft die Maklerin ein, indem sie auf eines ihrer beruflichen Klischees zurückgreift. »Man verbringt ja heute seine Tage nicht mehr in der Küche.«
    »Das habe ich auch nie gemacht, das versichere ich Ihnen, Signorina«, erwidert Lorella Panbianco trocken. »Aber trotzdem kann ich mir vorstellen, dass eine tortenstückförmige Küche nicht unbedingt funktional ist.« Sie schüttelt den Kopf, und ihre Missbilligung überträgt sich von der Form der Küche auf die gesamte Wohnung, auf das Paar, das darin wohnen müsste, auf die Entscheidungen ihres Sohnes.
    Clare folgt den anderen mit ein paar Schritten Abstand; sie bleibt im Flur stehen, wenn sie in ein Zimmer treten, verzieht sich hinter Türen, studiert die Decken und Wände, schaut aus den Fenstern. Sie fühlt sich absolut fehl am Platz bei dieser Besichtigung, sie wäre auch nie mitgegangen, wenn Stefano nicht so gedrängt hätte. Dabei sieht er sie jetzt kaum an, außer um ihr ab und zu ein Zeichen zu machen und zu fragen: »Hast du das gesehen? Und das?« Er erwartet gar keine Antwort, ganz in Anspruch genommen von seinen langfristigen Plänen und den Reibereien mit seiner Mutter.
    Auch diese Situation hat sie schon einmal gesehen, scheint ihr, im Traum vielleicht, oder wenn sie sich als kleines Mädchen verschiedene Formen von Zukunft ausmalte. Bei jeder Geste und jedem Blick zwischen den Zimmern und dem Flur empfindet sie Entmutigung und Bedauern, Langeweile, Unruhe. Sie schaut zur Eingangstür, denkt, dass sie sie öffnen und die Treppe hinunter davonlaufen und zur Verabredung mit ihren Freundinnen eilen möchte, ohne irgendwem Erklärungen geben zu müssen.
    Stattdessen wartet sie, bis die Führung beendet ist und Stefano und seine Mutter und die Maklerin der Hausherrin die Hand drücken. Mit vornehmer Zurückhaltung hat diese sie zum Lift hinausbegleitet, doch ihre Angst vor einer möglichen Meinungsänderung ist unschwer zu erkennen. Sie fahren alle vier hinunter, ohne sich im Spiegel des Aufzugs anzusehen und ohne zu sprechen, aus Furcht, ihre Kommentare könnten bis in den dritten Stock dringen und irgendwie die Verhandlungsbasis verändern.
    Auf der Straße draußen sagt Stefanos Mutter: »Ich hatte mir schon etwas mehr erwartet in Anbetracht des Verkaufspreises.«
    »Mama, es sind einhundertvierzig Quadratmeter«, sagt Stefano.
    »Signora Panbianco, das Preis-Leistungs-Verhältnis ist optimal«, sagt die Maklerin. »Es ist heutzutage unmöglich, in dieser Lage etwas Besseres zu finden.«
    »Was wolltest du denn mehr, entschuldige mal?«, fragt Stefano. Er lächelt, sieht aber seine Mutter immer noch forschend an: nervös, ungeduldig, abhängig.
    Die Mutter verdreht die Augen, spannt die Kiefermuskeln an und schweigt.
    Clare sieht sich um und betrachtet den Verkehr: einen Boten, der bei einem Portier nebenan ein Paket abliefert, die Abfälle im Rinnstein. Sie hofft inständig, dass die Panbiancos nicht versuchen, sie

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