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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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unsicher, ängstlich. Sie fühlt sich schuldig deswegen, und zum Ausgleich kommt sie ihm entgegen, als er sich mit gespitzten Lippen zu ihr beugt.
    Stefano drückt sie an sich, ganz ungeschickt in seinen Bewegungen durch all die endlich in ihm gereiften Absichten und durch das halbvolle Glas, das er in der rechten Hand hält.
    Sie öffnet ein klein wenig die Lippen; die Spitzen ihrer Zungen berühren sich kurz. Gleich darauf ziehen sie sich wieder zurück; sie macht einen Schritt rückwärts, hebt ihr Glas und nimmt noch einen Schluck von dem kalten, bitteren Prosecco.
     
    Kein Auto und keinen Führerschein mehr zu haben, ist Befreiung und Knechtschaft zugleich
     
    Kein Auto und keinen Führerschein mehr zu haben, ist Befreiung und Knechtschaft zugleich, denkt er, während er neben dem Mailänder Verkehr den außergewöhnlich schmutzigen Bürgersteig entlanggeht. In der Vergangenheit hatte er oft Lust, auf die motorisierten Verkehrsmittel zu verzichten, so wie er auch am liebsten auf eine feste Wohnung und überhaupt auf jeden materiellen Besitz verzichten würde, der langfristige Bindungen mit sich bringt. Nie hat ihm die Vorstellung gefallen, dauerhafte Bindungen an Orte oder sperrige Gegenstände einzugehen, in einer Beziehung gefangen zu sein, in der sich Interesse und Überraschung verflüchtigen und Gewohnheit und Langeweile überhandnehmen.
    Manchmal scheint ihm, dass er, um sich selbst wirklich treu zu bleiben, einfach allen materiellen Besitz loswerden müsste und, wenn er schon dabei ist, auch jedes Dokument, woraus man auf seine Identität schließen kann. Häufig stellt er sich vor, wie er es anstellen könnte, um aus allen Archiven und Registern gestrichen zu werden, endlich mit leichtem Gepäck durch die Welt zu ziehen, zu tun, was ihm gefällt, ohne irgendjemandem Rechenschaft ablegen zu müssen, einschließlich der Leser, die ihn durch die Seiten seiner Romane zu lieben glauben. Zum Beispiel hat er sich mehrmals ein Verschwinden auf hoher See ausgemalt, oder er hat an der Idee gefeilt, sich eine Leiche zu besorgen, sie in sein Auto zu legen und es anzuzünden, um sie unkenntlich zu machen, oder auch, es in einen Abgrund rollen zu lassen. Solche Pläne sind nicht unrealisierbar, bestimmt hat irgendwer sie schon irgendwo mit Erfolg in die Praxis umgesetzt. Wenn er seinen Frauen davon erzählt, lachen manche, als handelte es sich um einen Scherz oder um eine der vielen Geschichten, die einem Romanautor so einfallen, andere sind beunruhigt; eine Frau hat ernsthaft zu ihm gesagt, sie halte das für Symptome einer psychotischen Störung.
    Jedenfalls kann man den Plan, der beim Verschwinden das Auto einschließt, im Moment ad acta legen, da das Auto in der Werkstatt ist und der Führerschein beschlagnahmt. Der Rechtsanwalt hat ihm erklärt, dass die Rückgabe nicht automatisch erfolgt, sondern Zeit, Geduld und Geld erfordert; drei Dinge, über die er im Moment nicht in rauhen Mengen verfügt. Außerdem sei da noch die Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer, und auch das sei eine recht lästige Geschichte. Er hat entgegnet, er habe sich etwas Besseres erhofft in einem Land, wo kokainsüchtige Autofahrer mit ihrem schwarzen Porsche Cayenne Gruppen von Kindern auf dem Zebrastreifen massakrieren und am nächsten Tag seelenruhig nach Hause kommen. Der Rechtsanwalt lächelte kaum, er legte seine Notizen wieder in eine Mappe, ohne die geringste Absicht, sich auf die Polemik einzulassen.
    Wie auch immer, jetzt ist er zu Fuß, ein Zustand, den er als einschränkend oder befreiend empfindet, je nach Laune. Als Kind hatte er sich die Städte der Zukunft vollkommen autofrei vorgestellt, auch ohne Lastwagen, Busse und Straßenbahnen, mit Rollbändern anstelle von Gehsteigen, auf denen Menschen und Waren in der angenehmsten Stille mühelos dahingleiten. Aber die brutale Vorherrschaft des Verbrennungsmotors in all seinen Benzin- und Dieselvarianten, die darum wetteifern, wer mehr Gestank und Lärm hervorbringt, ist noch längst nicht überwunden. Irgendein berühmter Maler hatte mal gesagt, ein unordentlicher Geist brauche Ordnung um sich, vielleicht war es Paul Klee - nach den Reaktionen zu urteilen, die das Treiben und die Geräusche der Stadt in ihm auslösen, stimmt es. Jede Beschleunigung oder Bremsung auf dem Asphalt, jedes Knattern oder Rollen oder Quietschen, jede unfreiwillige Annäherung rufen heftige Abwehr- oder Angriffsimpulse in ihm hervor. Ständig beobachtet er aus dem Augenwinkel, was rechts und links

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