Sie und Er
in das Gespräch einzubeziehen, sondern die Sache weiterhin als eine familieninterne Angelegenheit betrachten.
»Was meinst du denn dazu, Chiara?«, fragt Stefanos Mutter im Ton der ehemaligen Mittelschuldirektorin, der durchdringt, sobald die Beziehung zu ihrem Sohn aus irgendeinem Grund steifer wird.
»Wozu?«, erkundigt sich Clare, da sie eine Menge Gedanken zu verschiedenen, wenn auch miteinander zusammenhängenden Themen im Kopf hat.
»Zu der Wohnung, die wir soeben besichtigt haben, Chiara«, sagt Stefanos Mutter. »Darüber reden wir doch gerade, scheint mir.«
Sie fühlt den Druck der Blicke von Stefano und der Maklerin, kann ihnen aber nicht helfen, auch wenn sie möchte.
»Eine Meinung wirst du dir doch gebildet haben, oder?«, sagt Stefanos Mutter. »Schließlich würdet ihr ja zusammen hier leben.«
Clare wendet sich Stefano zu: »Meiner Ansicht nach reicht die Wohnung, die du hast, vollkommen. Es besteht keine Notwendigkeit, dass du umziehst.«
»Aber was sagst du da?«, fragt Stefano bestürzt.
»Ich weiß es nicht«, sagt sie mit einem Blick auf die Uhr. »Ich muss gehen.« Sie hasst es, nicht pünktlich zu Verabredungen zu erscheinen, nachdem sie jahrelang unter Albertos krankhaftem, selbstgefälligem Zuspätkommen gelitten hat.
»Hör mal, ich glaube, deine Freundinnen können auch warten.« Stefanos Stimme zittert vor Enttäuschung. »Was wir hier besprechen, finde ich doch ein wenig wichtiger, offen gestanden.«
»Ich habe schon gesagt, was ich denke«, sagt sie, so freundlich sie kann. »Aber entscheiden müsst ihr, einen Platz zum Schlafen habe ich.«
»Selbstverständlich«, sagt Stefano. »Vielen Dank für deinen Beitrag. Sehr konstruktiv, wirklich.«
»Ste, wir reden ein andermal in Ruhe darüber.« Seine Mutter wirkt genauso angespannt wie er.
»Ich dachte, Sie hätten schon eine Entscheidung getroffen«, sagt die Maklerin, ebenfalls äußerst nervös.
»Ich habe eine Entscheidung getroffen.« Schlagartig gewinnt Stefano seinen zweifelsfreien Tonfall zurück. »Ich kaufe die Wohnung, das bestätige ich Ihnen. Ohne Wenn und Aber.«
»Wichtig ist, dass du davon überzeugt bist, weil… na ja«, sagt seine Mutter.
»Ich bin überzeugt, Mama«, sagt Stefano. »Ich bin mir kein bisschen unsicher, glaub mir.«
Clare zeigt auf die Straße: »Ich muss jetzt wirklich los.«
Sie küsst Stefanos stocksteif dastehende Mutter auf die Wangen, gibt der Maklerin die Hand, berührt Stefano nur flüchtig an der Schulter, da er demonstrativ sein Handy aus der Tasche gezogen hat und einen Anruf beantwortet.
Zwei Minuten später ist sie schon um die Ecke gebogen und läuft zur Bushaltestelle, halb bekümmert, Stefano so stehenzulassen, halb erleichtert.
Als sie die Bar betritt, wo sie verabredet ist, sitzen die Freundinnen ihrer Kollegin Anna schon um mehrere Tischchen, lachen und reden mit ihren farbigen Gläsern in der Hand, naschen von den Tellerchen der Mailänder Happy Hour.
Sie küsst und umarmt alle und versucht dabei, sich an ihre Namen zu erinnern. Sie bestellt einen falschen Negroni, der ihr vielleicht noch mehr wegen des Namens gefällt als wegen des Geschmacks. Denn sie hat immer gespürt, dass an ihr etwas falsch ist, schon als Kind, als sie mit ihren Schwestern im falschen Stadtviertel von Rochester wohnte, mit der falschen Mutter und dem falschen Vater, die die falsche ethnische Kombination und die falsche Arbeit hatten. Sie hat früh entdeckt, dass sie keinem Standard entspricht und es nicht ändern kann, selbst wenn sie wollte. Es betrifft Geist und Körper gleichermaßen, und das Problem stellt sich jedes Mal, wenn sie versucht, sich in einen Kontext einzufügen. Die Tatsache, dass sie die Vereinigten Staaten mit zwanzig Jahren verlassen hat, um in Italien zu leben, hat ihr natürlich nicht geholfen, sich besonders gut integriert zu fühlen, weder hier noch im Land ihrer Herkunft. Sie steht zwischen zwei Kulturen und zwei Sprachen, kein Mädchen mehr, aber auch keine Signora, beruflich nicht genau festgelegt, aber auch keine Künstlerin, keine echte Mailänderin, aber auch keine Bewohnerin der ligurischen Küste, nicht verheiratet, aber auch nicht frei und unabhängig. Und ihr Haar ist zu kraus, um es je zu einer konventionellen Frisur zu kämmen, ihr Akzent zu amerikanisch, um ihn je ganz loszuwerden, ihr Bewegungsdrang zu groß, um je stillhalten zu können, ihr Geist zu neugierig, um je Langeweile hinnehmen zu können. Vielleicht hat sie in letzter Zeit gelernt,
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