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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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schmachtender Pose, die sie wahrscheinlich einstudiert hat, während er im Wohnzimmer war, liegt Miriam Lovati zwischen den Laken: »Du hast’s aber eilig.«
    »Ich habe einen Termin.« Er zieht sein Hemd an.
    »Auf einmal?« Sie entblößt ihr eines Bein bis zur Leiste.
    »Ja.« Er wendet den Blick ab.
    »Was machst du, läufst du davon?«, sagt Miriam Lovati. »Komm mal eine Minute her, gib mir wenigstens einen Kuss.«
    »Ich habe keine Zeit.« Am liebsten würde er ihr das Laken wegreißen und sie am Arm hochziehen, wenn es nicht als erotische Geste missverstanden werden könnte.
    »Nur Ruuuhe«, sagt sie. »Immer mit der Ruuuhe.« Aber wenigstens steht sie auf, wenn auch mit einer nervtötenden Langsamkeit, die womöglich verführerisch wirken soll.
    Um sie nicht nackt zu sehen, dreht er sich um, geht ins Wohnzimmer, zieht seine Schuhe an. Er möchte bloß endlich den Hahn der vergeudeten Zeit zudrehen, allein sein, etwas Konstruktives tun.
    Miriam Lovati verschwindet im Bad, macht ewig herum; das Wasser läuft und läuft durch die Leitungen in den Wänden, durch die unsichtbaren Eingeweide des Hauses. Von der Straße tönt gedämpfter Lärm von Autos und Motorrädern herauf, das tiefere Brummen eines Lastwagens. Er öffnet ein Fenster im Wohnzimmer: Eine Welle feuchter, stickiger Hitze überfällt ihn wie ein außerirdisches Monster, geifert ihm ins Gesicht, dringt unter seine Kleider. Er macht sofort wieder zu, geht zum Bad und klopft mit der flachen Hand an die Tür: »Mach schon. Es ist spät!«
    Zuletzt kommt Miriam Lovati heraus, frisch geschminkt und frisiert in ihrem pfirsichfarbenen Kleid, als müsste sie gleich einem Kunden eine der teuersten Wohnungen zeigen, die ihr Maklerbüro im Angebot hat. »He, Daniel?«, sagt sie. »Alles okay?« Die Pupillen ihrer himmelblauen Augen sind immer noch verengt.
    »Ja, wunderbar«, sagt er, noch ungehaltener, weil sie ihn mit Namen angesprochen hat. Natürlich tut es ihm gleichzeitig leid für sie, für ihre gelegentlichen zwecklosen Bemühungen, ihn zu verführen, die ganze Sorgfalt, die sie gestern Abend und auch jetzt auf ihr Äußeres verwandt hat. Trotzdem schiebt er sie rasch zur Tür und die Treppe hinunter, durch die Eingangshalle nach draußen.
    Auf der Straße nehmen die Gluthitze und das weiße Licht allen Raum ein, sättigen jeden freien Millimeter zwischen den Fassaden der Gebäude. Miriam Lovati setzt die Sonnenbrille auf, vollführt eine halbe Drehung, geht langsamer: »Auch wenn es dich nicht interessiert, es war wunderschön, jedenfalls für mich«, sagt sie in einem kindlichen Tonfall, gespielt wie alles Übrige.
    »Freut mich«, erwidert Deserti. Er gibt sich einen Ruck, beugt sich vor und küsst sie auf die Stirn. Dann zeigt er auf die Straße in der entgegengesetzten Richtung, die sie einschlagen muss. Der Knöchel sticht erneut, wie ein wiederkehrender Gedanke. Als er losgeht, bemüht er sich, nicht zu hinken.
     
    Nachdem er eine längere Runde um den Häuserblock gedreht hat, geht er zurück in die Wohnung, öffnet das Fenster des Schlafzimmers, das noch von Miriam Lovatis schwerem, süßlichem Parfüm erfüllt ist. Zwischen den zerwühlten Laken liegt ihre Perlenkette, bestimmt absichtlich vergessen, um einen Vorwand zu haben, ihn wiederzusehen. Er legt sie auf ein Regal in der Küche, gießt sich ein halbes Glas Orangensaft ein, kippt zwei Finger hoch Whisky dazu und nimmt einen langen Schluck. Im Wohnzimmer betrachtet er die alte tragbare Olivetti, auf der er vier oder fünf Tage lang versucht hat, seinen neuen Roman von Seite eins an umzuschreiben in der Hoffnung, dass das Werkzeug einen Einfluss auf den Inhalt hat. Er wirft einen Blick auf die Blätter auf dem Tisch, aber er sieht nur professionell aneinandergereihte Wörter. Er knüllt die Seiten zusammen, schmeißt sie an die Wand. Dann hebt er sie auf, streicht sie glatt, probiert sie durchzulesen und zerreißt eine nach der anderen.
    Er wandert in der Wohnung hin und her, fühlt sich ausweglos in der Falle. Sein rechter Knöchel schmerzt, ihm wird schon übel, wenn er nur ans Schreiben denkt. Er versucht sich andere Bücher vorzustellen als das, das er begonnen hat, doch ihm scheint, als habe er sie alle schon gelesen oder geschrieben, so bar jeder Überraschung ist alles. Er versucht sich eine Reise vorzustellen, die ihm neue Bilder und Eindrücke vermitteln könnte, ist aber ziemlich sicher, dass die Orte, die er noch nicht gesehen hat, ihn sowieso nicht interessieren. Er

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