Sie und Er
Papiertüte, legt sie auf einen Teller, schält einen Pfirsich, nimmt eine Flasche Wasser und das Buch von Deserti, dann geht sie hinaus und setzt sich in den Schatten der Pergola. Sie isst und liest und trinkt, umgeben vom unermüdlichen Gekratze der Zikaden.
Am Nachmittag nimmt sie den Roller, fährt die Straße hinauf, die auf den Hügel führt und an einer bestimmten Stelle kurz vor dem Dorf zwischen den Hausmauern so schmal wird, dass ein großes Auto nicht durchpasst. Einmal war ein deutscher Tourist mit seinem Wohnwagen dort steckengeblieben wie ein Hummer in einer Reuse, und sie hatte versucht, ihm zu helfen bei seinem verzweifelten Versuch, sich im Rückwärtsgang bergab zu befreien. Jetzt folgt sie ein paar Kurven lang der Staatsstraße und biegt dann in die von ausladenden Schirmpinien gesäumte Allee zur Kirche San Rocco ein. Dort lässt sie die Vespa stehen, geht mit ihrem kleinen Rucksack an der Statue des Hundes vorbei, der irgendwann irgendwen gerettet hat, schaut hinunter auf die glitzernde, blendende Weite des Meeres, den grünen Hügel mit den pastellfarbenen rosa und gelben Häusern, das Panorama der Küste, die von Camogli über Genua und San Remo bis nach Frankreich hinüber reicht. Zügig marschiert sie den schmalen Pfad mit dem rostigen Eisengeländer zwischen den Terrassengärten mit ihren Lorbeerbüschen, Erdbeerbäumen und Zitrusgewächsen entlang, dann hinunter, hinauf und wieder hinunter über die Stufen, die zu den Felsen von Punta Chiappa führen. Im Meer schaukeln Schlauchboote, Motorboote und Segelboote unterschiedlicher Größe, die Badegäste auf den Felsen gleichen einer Kolonie von Seelöwen, die in der Sonne braten. Sie schaut sich um unter der Vielfalt ausgestreckter Körper, die sich der unregelmäßigen Oberfläche anpassen, sich eincremen, sich umarmen, Zeitung lesen; sie wickelt sich in ihr Handtuch, zieht den Badeanzug an, klettert vorsichtig den rauhen Felsen hinunter, springt ins Meer. Sie schwimmt unter und über Wasser - es ist fast lauwarm - und genießt jeden Zug: die Dichte, den Auftrieb, den nachgiebigen Widerstand bei jeder Bewegung. Es ist zwar nicht wie das Fliegen in ihren Träumen, kommt dem aber sehr nahe und vermittelt ihr ein ähnliches Gefühl von Schwerelosigkeit, ähnlich kontemplative Gedanken. Das Meer war eine ihrer großen Entdeckungen, als sie nach Italien kam; vorher war sie nur in öffentlichen Schwimmbädern oder in Teichen oder manchmal im See geschwommen. Die überwältigende Lebenskraft des um die Felsen schwappenden Salzwassers zu entdecken war eine Offenbarung für sie; sie glaubt nicht, dass sie je wieder darauf verzichten könnte. Die Durchsichtigkeit verzaubert sie, das Licht, das auf der Oberfläche schimmert und sie durchdringt, das ständige Farbenspiel von Himmelblau bis Kobaltblau. Sie könnte stundenlang im Wasser bleiben, im regelmäßigen Takt halbkreisförmiger Bewegungen der Küste folgen, Arme, die ziehen, Beine, die schieben, Kopf, der unter- und wieder auftaucht, Mund, der sich schließt und wieder öffnet, Lungen, die ausatmen und sich wieder mit Luft füllen. Als sie müde wird, hält sie sich an einem Felsen fest und klettert hinaus, zieht das T-Shirt über den Badeanzug, ohne sich abzutrocknen, und macht sich auf den steilen Rückweg, solange sie noch abgekühlt ist, mit nassen Haaren und salziger Haut. Sie strengt die Beine an, fordert das Herz heraus, hält den Rhythmus, ohne stehen zu bleiben oder zu verlangsamen. Und die ganze Zeit geht ihr das Buch von Daniel Deserti, das sie noch nicht ausgelesen hat, nicht aus dem Kopf: die Charaktere, die allmählich aus den Seiten hervortreten, die wohlgebauten Sätze, die überraschenden Einsichten, der umfassende Überdruss, die zentralen Gedanken. Ihr ist, als hätte sie eine Stimme im Ohr, die ihr überallhin folgt, einen Blick in den Augen, sogar gut sichtbare Gesten um sich herum. Es ist ja normal, dass ein Buch Eindrücke und Empfindungen hinterlässt, denkt sie, kann sich aber nicht an viele Bücher erinnern, die eine so lebhafte und nachhaltige Wirkung auf sie hatten.
Als sie heimkommt, kippt sie zwei Gläser Wasser hinunter, dann bindet sie ihre Haare zusammen, zieht die grünen Gummistiefel und die alten Gartenhandschuhe an und beginnt das Gras mit dem mechanischen Spindelmäher zu mähen, auf den ihr Vater so stolz war, weil er besser funktionierte als einer mit Motor. Obwohl er verrostet ist und der Lack abblättert, schneidet er noch sehr gut, außer bei Pflanzen
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