Sie und Er
wo dann?«
Sie zögert, als hätte sie nicht die Absicht, ihm zu antworten. Dann sagt sie: »In Ligurien.«
»Wo in Ligurien?«, fragt er. »Ich habe die Hälfte eines Buches in der Nähe von Lerici geschrieben, als ich noch mit meiner ersten Frau zusammen war.« Er versteht nicht, warum er einer Fremden, mit der ihn kein gutes feeling verbindet, diese Dinge erzählt; er weiß es nicht.
»Es ist kein Dorf«, antwortet die Moletto, »sondern ein einzelnes Haus.«
»Aber die Gegend wird doch einen Namen haben, oder?«, drängt er. »Der Ort, zu dem es gehört.«
»San Minimo«, sagt die Moletto.
»Und wo liegt San Minimo?« Mehrere aus verschiedenen Zeiten und Orten stammende Bilder der ligurischen Küste gehen ihm durch den Kopf.
»Auf dem Land, zwischen Rapallo und Camogli«, sagt sie schließlich.
»Sieht man von dort das Meer?«, fragt er.
»Nein, es liegt in den Hügeln«, antwortet sie.
»Aha«, sagt er.
»Wieso stellen Sie mir jetzt alle diese Fragen?«, sagt die Moletto.
»Einfach so«, erwidert er. »Um besser zu verstehen.«
»Verstehen? Was wollen Sie verstehen?«, fragt die Moletto.
»Keine Ahnung«, sagt er. »Wie Sie sind, vermutlich, warum Sie so sind, Ihre Geschichte.«
»Na gut, ich muss jetzt Schluss machen.« Plötzlich hat sie es eilig. »Ich habe zu tun.«
»Was haben Sie denn vor?« Bei dem Gedanken, dass sie gleich auflegt, überkommt ihn eine absurde, panische Verlassenheitsangst: lächerlich, unbegründet.
»Eine Menge.« Es klingt wie das letzte Zugeständnis, zu dem sie bereit ist. »Ich muss mich jetzt wirklich verabschieden.«
»Warten Sie«, sagt er hastig. »Haben Sie nicht gesagt, Sie wollten über mein Buch reden? Als Sie mich vorher angerufen haben?«
»Ach, deswegen haben Sie mich zurückgerufen?«, sagt die Moletto. »Weil Sie wissen wollen, was ich über Ihr Buch denke?«
»Nein, nein«, sagt er, und mindestens daran besteht kein Zweifel. »Mein Buch interessiert mich überhaupt nicht.«
»Vielleicht ergibt sich mal eine andere Gelegenheit«, sagt sie, ohne freundlicher zu werden. »Jetzt muss ich gehen.«
Er zögert, würde gern noch weiterreden, doch ihm scheint, als habe er das Kräfteverhältnis sowieso schon auf erstaunliche Weise zu seinem Nachteil gewendet. »Einverstanden«, sagt er. »Bis bald.«
»Auf Wiedersehen.« Sie legt auf.
Gleich danach schenkt er sich noch ein halbes Glas Orangensaft mit Wodka ein, doch als er einen Schluck nimmt, ekelt ihn der Geschmack. Er kippt alles in den Ausguss, wie er es unter den Augen seiner Tochter getan hatte, und spült das Glas lange aus. Er geht ins Wohnzimmer, dreht wieder um. Seine Beine sind wie elektrisiert, der Atem ist flach, der Kopf voller Gedanken, die ihm wieder entschlüpfen, bevor er versteht, wohin sie ihn führen wollen. Er stopft die Geldscheine, die auf einer Konsole liegen, in die Hosentasche, zieht seine Schuhe an, verlässt die Wohnung, läuft die Treppe hinunter.
Die Zikaden in den Olivenbäumen kreischen unermüdlich
Die Zikaden in den Olivenbäumen kreischen unermüdlich, wie eine Lärmmaschine. Die Steine der Hauswand, die Steinplatten auf dem Weg und das Trockenmäuerchen davor sind glühend heiß; die Katzen haben sich an geschützten Plätzen versteckt. Mit dem Rechen recht sie die vertrockneten Olivenblätter auf der westlichen Seite des Rasens zusammen, muss aber bei jeder Bewegung gegen die Hitze ankämpfen und kneift im blendenden Licht die Augen zusammen. Jedes Mal, wenn sie sich in diesem Garten umsieht, findet sie es bewundernswert, wie es ihrem Vater gelungen ist, unter Berücksichtigung der Vegetation, der Sonnenlage und der Windeinflüsse Bereiche mit deutlich verschiedenem Charakter zu schaffen. Trotz seiner Neigung, über andere zu urteilen und sie bis an die Grenze des Erträglichen unter Druck zu setzen, wurde er in seinem kleinen Garten zu einem anderen, meditativen, nachdenklichen, ja sogar sanften Mann. Häufig meint sie ihn irgendwo mit Spaten, Heckenschere und Gießkanne hantieren zu sehen; Spuren seines Tuns hängen noch in der Luft, nach Jahren. Im Garten fehlt er ihr am meisten, ihr ist, als stehe sie hier mit ihm in stiller Verbindung. Auch deshalb hat sie keine Absicht, etwas daran zu verändern oder das Häuschen gar aufzugeben, obwohl die Männer in ihrem Leben ihr immer wieder dazu geraten haben. Alberto hatte unter den Olivenbäumen einen großen Kühlschrank aus glänzendem Stahl aufgestellt und unter dem Feigenbaum eine Plattform gebaut, wo er
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