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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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zusammen nach Rom geflogen und dann zwei Monate durch Italien gereist.« Sie sieht Bettys Gesicht vor sich, die großen, dunklen, treuherzigen Augen; sie fragt sich, was Betty wohl dächte, wenn sie sie in diesem Moment hier sähe.
    »Und dann bist du eines Abends in der Nähe von Lucca Luigi begegnet«, sagt er.
    »Wir wohnten in einem kleinen Hotel, das wir im Reiseführer gefunden hatten«, sagt sie. »Am Abend sind wir losgezogen, wollten etwas essen und haben in einem Garten eine Menge Lichter gesehen. Ein Streichquartett spielte Mozart, wir sind durchs Tor gegangen, um zuzuhören.«
    »Die zwei jungen, romantischen Amerikanerinnen.« Er lächelt.
    »Ja, aber nach wenigen Minuten kam die Gastgeberin«, sagt sie. »Das sei ein privates Fest, wo wir herkämen, wer uns eingeladen hätte. Wir haben gestottert: >Scusa, scusa<, zusammen konnten wir höchstens zehn Wörter Italienisch. Da kam Luigi und sagte: >Das sind Freundinnen von mir, ich habe sie eingeladen<.«
    »Bravo, Luigi!«, sagt er. »Großartiges Timing.«
    »Es waren nur noch fünf Tage bis zu unserem Rückflug«, sagt sie. »Er hat uns die Versiglia gezeigt, Pisa, Arezzo, das Casentino.«
    »Was für eine rührende Geschichte.« In seiner Stimme schwingt etwas mit, was wie leichte Eifersucht klingt, vielleicht ist es auch Sarkasmus. »Wie ging es dann weiter?«
    »Als ich wieder daheim war, haben wir uns geschrieben, über Monate.« Sie blickt in die Ferne. »Kurz vor Weihnachten hat er mich dann in Rochester besucht. Und wir haben geheiratet.«
    »So schnell.« Für einen Augenblick scheint die Sicherheit des Geschichtenbauers ins Wanken zu geraten.
    »Ja«, sagt sie. »Ich wollte von zu Hause weg, die Perspektive verändern, die Welt entdecken.« Bildfetzen schießen ihr durch den Kopf: Luigi, wie er damals war; wie er später wurde.
    »Und wo habt ihr gelebt?«, fragt er.
    »In Genua«, sagt sie. »Dann zwei Jahre in Lissabon, weil seine Versicherungsgesellschaft ihn dorthin geschickt hat. Dann ein Jahr in Sao Paulo, danach sind wir hier an die Küste zurückgekehrt.«
    »Und nach einer Weile hast du angefangen, dich tödlich zu langweilen«, sagt er.
    »Luigi ist ein hochanständiger Mensch«, sagt sie. »Aber unsere Charaktere waren zu unterschiedlich. Außerdem war er fünfzehn Jahre älter als ich.«
    Erinnerungen stürmen auf sie ein: Küsse im Schlafzimmer, Frühstück am Morgen, beruhigende Rituale, die zur Manie werden, Gespräche im Wohnzimmer, die sich immer mehr wiederholen, praktische Fragen, die belastender werden, Perspektiven, die Jahrzehnte im Voraus erwogen werden; die Bücher und Zeitschriften, die gebildete, kluge und traurige Schwiegermutter im Stockwerk über ihnen, die Normalität des Alltags, die wie eine Falle zuschnappt, die Gründe für ihr Zusammensein, die Tag für Tag schwinden, gemeinsam mit der Neugier, der Phantasie und allem Lebendigen, Unvorhersehbaren und Amüsanten, was es je gegeben haben mochte.
    »Deswegen hat dich die hündische Hyperaktivität von Alberto so angezogen?«, sagt er. »Sein ständiges Hin und Her, wie er kommt und schnuppert, sich kratzt und an dir hochspringt, den Schwanz einzieht und bellt und winselt?«
    »Hör auf«, sagt sie, obwohl sie über dieses Bild auch lachen muss, denn sie hat selbst mehr als einmal gedacht, dass Alberto entsprechend den Theorien ihres Vaters einen Hundecharakter hatte.
    »Dass er ein stark gestörter Hund ist, hast du erst später gemerkt«, sagt Deserti. »Als dein Florence-Nightingale-Syndrom schon ausgebrochen war.«
    »Ach komm«, sagt sie. Warum sollte sie das jetzt zugeben, vor einem Fremden, der seinerseits alles andere als ausgeglichen wirkt und dessen Absichten ihr gegenüber absolut unklar sind, außer dass er mit unerbittlicher Genauigkeit ihr Leben durchleuchtet.
    »Jedenfalls besteht kein Zweifel darüber, was ihn an dir angezogen hat.« In Desertis Augen funkelt das gespiegelte Licht. »Und vor ihm Luigi und nach ihm deinen kleinen Rechtsanwalt.«
    »Was denn?«, will sie wissen.
    »Also, lass mich mal die richtigen Adjektive finden, um dich zu charakterisieren«, sagt er. Erneut füllt er ihr Glas, dann seines. Er studiert sie, als müsste er sich inspirieren lassen.
    »Ach, nicht so wichtig.« Sie bereut schon, ihn gefragt zu haben. Sie trinkt einen Schluck Wein, die Flasche ist fast leer, ihre Empfindungen schwanken. Sie hat Hunger und auch nicht, möchte woandershin, möchte hierbleiben.
    »Superaufmerksam«, sagt er. »Superintelligent. Brillant.

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