Sie und Er
Ahnung eines nahenden Unheils.
Sie zögert: »Wenn du willst, gibt es ein Lokal drei Minuten von hier.« Sie setzt einen Helm auf, reicht ihm den anderen.
Er fährt den Roller das Sträßchen hinauf, erneut unsicher und wackelig. Sie sitzt hinten, hält sich am Griff des Helmfachs fest, der Kontakt zwischen ihnen beschränkt sich auf das Nötigste.
Ein kurzes Stück folgen sie der Staatsstraße, gleich nach einer Kurve berührt sie ihn an der Schulter, damit er links abbiegt. Sie fahren durch ein Dorf am Ufer des Meeres; sie zeigt ihm einen freien Platz am Pfeiler einer Überführung: »Halt hier an.«
Er stellt den Motor ab und schiebt den Roller auf den Ständer.
Im Licht der Straßenlaternen gehen sie durch die dunklen Gassen, vorbei an Grüppchen von Leuten, die auf einer Piazza reden und lachen; aus offenen Fenstern dringen Fernsehgeräusche, vom weitem hört man Motorenlärm und ferne Musik. Immer einen halben Schritt voraus, führt sie ihn die Stufen einer Treppe hinauf.
Sie isst ab und zu in diesem Lokal
Sie isst ab und zu in diesem Lokal, kennt die Frau, die es führt, seit Jahren. Es bietet nur zwei oder drei Gerichte pro Abend, doch die Zutaten sind frisch und gut, auch wenn es auf den ersten Blick nur wie eine Sommerbar mit Terrasse aussieht. Auf der einen Seite sind die von den Laternen beleuchteten Häuser mit ihren gelb und rosa gestrichenen Fassaden, auf der anderen der steinige Strand und das Meer, immer mehr im Dunkeln; das Schwappen der Brandung mischt sich mit der Musik aus einer Stereoanlage und mit den anderen Geräuschen des Abends.
Als die Inhaberin des Lokals Clare sieht, grüßt sie sie auf ihre gewohnt schroffe Art, wie üblich ist sie burschikos gekleidet. Sie sollen sich hinsetzen, wo sie wollen, bedeutet sie ihnen, drei oder vier Tische sind noch frei. Dann bringt sie die Tageskarte, legt sie ohne Kommentar auf den Tisch. Sie studieren die Karte, schauen sich um. Die Frau kommt, um die Bestellung aufzunehmen; ohne sich abgesprochen zu haben, nehmen sie beide Spaghetti in Seebarbensoße, dazu eine Flasche Pigato.
Nur noch zwei weitere Tische sind besetzt. Sie betrachten die Leute, die dort sitzen, das Schwimmbecken gleich hinter der Terrasse mit seinen abgegrenzten Bahnen, das reglose Wasser; sie betrachten die große Betonbrücke hoch oben über dem Dorf, auf der die Scheinwerfer von Autos und Motorrädern entlangstreichen. Die Musik ist unpassend, leicht verzerrt von den Lautsprechern, die an zwei Metallpfosten hängen. Reggae-Versionen von Songs aus den siebziger Jahren. Vom Meer weht eine Brise herauf, aber nur gelegentlich.
Als der Weißwein kommt, schenkt Daniel Deserti ein und hebt sein Glas: »Auf dich.«
»Auf dich«, sagt sie. Sie trinkt einen Schluck: Der Wein ist kalt und trocken, schmeckt leicht nach Pfirsich und Honig, Feldblumen, Salbei, Moos, Harz und Bittermandeln. Doch sie lächelt nicht; beim Gedanken an Albertos Worte, seinen Ton und seinen Blick krampft sich ihr immer noch der Magen zusammen. Sie sollte in Mailand sein, nicht hier.
»Was wollte der Hampelmann an den Felsen?« Daniel Deserti sieht sie über den Rand seines Glases an.
»Alberto?« Sie hat keine Lust, darüber zu sprechen; aber vielleicht tut es ihr ja gut.
»Ja, genau«, sagt er. »Er hatte so einen unglaublich fordernden Ausdruck, wie sein eigener Gewerkschafter.«
»Er behauptet, dass ich sein Leben ruiniert habe«, sagt sie. »Dass ich seine Selbstachtung zerstört habe.«
»Und wie hättest du das angestellt?«
»Indem ich ihn verlassen habe.« Sie schaut ihn prüfend an, verunsichert. Warum fragt er sie das alles: aus Freundschaft, beruflichem Interesse oder will er sie aus der Reserve locken oder was?
»Nachdem du entdeckt hast, dass er mit einer anderen herummacht«, sagt er, ohne fragenden Tonfall.
»Warum weißt du das?« Sie fühlt sich plötzlich viel zu exponiert. Trotz der Zeit, die vergangen ist, gibt es in ihrer Sicht auf das Ende der Beziehung zu Alberto noch teilweise verschwommene Randzonen. Er schien so verwirrt damals, brachte tausend Rechtfertigungen vor, hielt aber trotz allem sein Verhältnis mit der Sängerin bis zuletzt aufrecht; er gab vor, nur noch zu ihr zurück zu wollen, seine Bitten verwandelten sich in Klagen und dann in Anklagen, bis sie auf einmal Schluss machte und sich vornahm, ihr Leben zu ändern.
»Er hat so hässliche Augen«, sagt Deserti. »Penetrant, aufdringlich.«
»Du hast ihn doch bloß ein paar Minuten gesehen«, sagt
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