Sie und Er
sie.
»Das hat mir gereicht«, erwidert er. »Gereicht wozu?«, fragt sie.
»Um zu kapieren, dass er ekelhaft ist«, sagt er. »Deiner absolut unwürdig.«
»Er ist nicht ekelhaft«, sagt sie. »Wir waren fünf Jahre zusammen.« Aber unweigerlich muss sie an das feine Ekelgefühl denken, das sich bei den ersten Malen, als sie zusammen waren, in die Anziehung mischte; an den wiederholten Zweifel, sich auf ein schmutziges Spiel mit einem moralisch angeknacksten Mann eingelassen zu haben.
»Kommt vor«, sagt er. »Vor allem, wenn man dazu neigt, anderen Qualitäten zuzuschreiben, die sie nicht besitzen. Und wenn man in jemanden investiert und dafür jemand anderen aufgibt, samt dem ganzen Leben, das man mit ihm hatte. Dann ist man nicht bereit zuzugeben, dass man sich geirrt hat, nicht einmal, wenn es offensichtlich ist.«
»Ach was, ich bin ja nicht blöd.« Sie ist stocksauer bei dem Gedanken, dass ihre Fehler so einfach erkennbar sein sollen.
»Du bist alles andere als blöd«, sagt er. »Aber deine Großzügigkeit gegenüber anderen bringt dich dazu, sie viel positiver zu sehen, als sie sind.«
»Was weißt du denn davon?«, sagt sie.
»Das sehe ich«, antwortet er. »Ich habe ja gesehen, wie du nach dem Unfall mit mir umgegangen bist, anstatt mich gleich da liegen zu lassen oder mich aus dem Auto zu werfen. Ich habe dich vorhin mit dem Hampelmann gesehen. Das absurde Verständnis, das du für seine rachsüchtige Raserei gezeigt hast. Wie du ihm zugehört hast.«
»Alberto hat auch andere Seiten.« Sie versucht, die Gründe für ihre Beziehung wieder auszumachen. »Er ist ein durchaus sensibler Mensch, und er hat sehr schöne Lieder geschrieben.«
»Hm«, macht er.
»Hast du je was von ihm gehört?«, fragt sie herausfordernd. Mehr denn Alberto verteidigt sie sich selbst.
»Nein.« Er begegnet ihr mit einem ebenso standhaften Blick. »Was hätte ich denn zum Beispiel hören sollen?«
»Ich weiß nicht, Ho rubato una rosa, vielleicht«, sagt sie. »Oder La luna negli occhi.«
»O je, die Titel sagen alles«, knurrt er.
»Das sagst du nur, weil du voreingenommen bist«, sagt sie.
»Warum sollte ich voreingenommen sein?«, fragt er. »Aus welchem Grund?«
Sie gibt keine Antwort, schaut zur Seite. Sie bewegen sich an einer gefährlichen Linie, ohne Rückendeckung und ohne zu wissen, was sich auf der anderen Seite befindet, und riskieren, eine Grenze zu überschreiten.
»Ich frage mich bloß, was er dir wohl vorgegaukelt hat, um dich zu erobern«, sagt er. »Der kleine Wichtigtuer aus der Provinz, der sich als Künstler ausgibt.«
»Er ist kein kleiner Wichtigtuer aus der Provinz!«, protestiert sie.
»Siehst du?«, sagt er. »Du verteidigst deine Investition immer noch, obwohl sie den Bach runtergegangen ist. Erklärst und rechtfertigst sie, beschönigst. Wer weiß, wie viel Aufmerksamkeit und Hingabe du ihm gewidmet hast, ihm und seinen mittelmäßigen Liedern.«
»Sie sind nicht mittelmäßig«, sagt sie. »Jedenfalls nicht alle.« Mit Begeisterung hatte sie in den ersten Jahren die Entstehung von Albertos Liedern verfolgt, die Überführung der anfangs vagen Intuitionen in präzise melodische Linien, die, so schien es, schon immer in der Luft gelegen hatten. Ihr Staunen über den geheimnisvollen Schaffensprozess fällt ihr wieder ein, ihre Anteilnahme, wenn sie Alberto im Studio bei der Aufnahme zuschaute, die totale Identifikation, wenn sie bei den Live-Konzerten in ganz Italien hinter der Bühne stand oder in der ersten Reihe saß; die Tourneen im Auto oder im Kleinbus, die Hotels, die Abendessen mit den Mitgliedern der Band und den Fans, die Nächte voller Wein und noch nicht abgebautem Adrenalin, das aufgeregte Gerede, das Geschrei. Was für ein Gegensatz zu ihrem vorherigen Leben mit Luigi, zu ihrem Alltag als junge verheiratete Frau zwischen Haushalt und Arbeit in einem Übersetzungsbüro: die Ausflüge in die Berge, die Abende vor dem Fernseher oder mit zu Freunden gewordenen Nachbarn, die besonnenen Unterhaltungen, die gelassenen Gesten. Ihre Freude über die Entdeckung der Unvernunft fällt ihr wieder ein, die Lust an plötzlich erlaubten kindischen Verhaltensweisen, das Gefühl von Befreiung; und das Durcheinander, die Bestürzung, die Mühe, alle Teile zusammenzuhalten, weiterhin sie selbst zu sein. Ihr kommt der Tag in den Sinn, an dem Alberto erklärt hatte, er dürfe absolut nicht gestört werden, während er an dem Projekt mit der kalabresischen Sängerin arbeite; der Tag, an dem
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