Sie waren zehn
sie anzuziehen, und niemand hinderte ihn daran.
»Ein so schöner, heißer Tag.« Tarski knöpfte den Schlitz zu. »Da überkommt es einen.«
»Was willst du in Wolokolamsk?«
»Ein Onkel wohnt dort. Dementi Russlanowitsch Koseboschkin. Der arme Onkel leidet unter diesem Namen … wie kann man Koseboschkin heißen? Aber wer kann sich auch aussuchen, wo und von wem er gezeugt wird? Diesen Onkel möchte ich besuchen. Ein harmloses Vergnügen, Genossen.«
»Von Kiew aus?« sagte der finstere Bursche mit der Maschinenpistole. »Und alles zu Fuß?«
Tarski schüttelte den Kopf. »Ein Stück mit dem Zug, ein großes Stück auf Lastwagen unserer tapferen Armee … man muß sich eben durchschlagen. Wenn ich von meinem Sumpffieber erzählte, hatte ich überall Freunde.«
»Auch wir sind deine Freunde«, sagte der zweite Milizionär und grinste breit. Es war der erste Satz, den er sprach. »Du sollst dir nicht die Füße wundlaufen, Freundchen. Wir bringen dich nach Wolokolamsk zu deinem Onkelchen. Mit dem Jeep ist es keine Stunde. Das sind wir einem Genossen schuldig, der so jung schon Invalide ist. Los, lauf voran, wir wollen dem lieben Koseboschkin die Hände drücken.«
Tarski nickte. Er war plötzlich eiskalt bis zum Herzen. Mit sicheren Schritten ging er auf den Jeep zu, grüßte den Fahrer und kletterte auf den Rücksitz. Der widerwärtige Mensch, der immer fragte, hockte sich neben ihn und rief: »Hoj!« Darauf begann eine Autofahrt, die es nicht zuließ, daß man sich unterhielt. Man hatte alle Mühe, im Wagen zu bleiben, nicht hinauszukippen oder bei Schlaglöchern durch die Luft zu fliegen. Erst nahe bei Wolokolamsk verringerte der Fahrer die Geschwindigkeit und blieb bei den ersten Häusern stehen. »Wo wohnt das Onkelchen?« fragte der Milizionär neben Tarski mit klebriger Stimme. »Wird das eine Freude geben!«
»Wer soll das wissen?« Tarski war ganz ruhig. »Zum erstenmal besuche ich ihn. Früher kam er zu uns nach Kiew, ein kleiner, dicker Mensch mit einem runden, fast kahlen Kopf. Damals handelte er mit Farben – aber das kann sich geändert haben.«
»Doch der Name nicht …?«
»Man sollte es nicht annehmen.«
Die Milizstreife fuhr in den kleinen Ort und hielt vor einem Haus, an dem das Postzeichen klebte. Natürlich, dachte Tarski, das ist am einfachsten. Sie sind nicht dumm, die Genossen. Der Posthalter muß jeden im Ort kennen. Und wenn ein Brief an das Hündchen Babotschka eintrifft – er weiß sicher, wem Babotwschka gehört.
Tarski stieg mit den drei Milizionären aus und betrat das Postgebäude. Hinter dem Schalter saß eine graugesichtige Frau mit vielen Falten um den Mund und aß eine große kalte Pellkartoffel mit der Schale. Wenig Betrieb heute, Genossen. Die Leute von Wolokolamsk haben eine schwere Hand, wer schreibt da schon gern? Ein paar Geschäftsfreunde – die liefern ihre Post erst gegen Abend ein. Da ist hier Hochbetrieb, und sie zanken sich, weil's jeder plötzlich eilig hat.
»Ha?« machte das Mütterchen und steckte ein Kartoffelstück in den faltigen Mund. »Was ist?«
»Es geht um einen Dementi Russlanowitsch Koseboschkin!« sagt der Wortführer der Milizstreife. »Wo wohnt er?«
»Wer?« kaute das Mütterchen. Ihr Kopf stieß vogelähnlich vor.
»Koseboschkin.«
»Hier nicht!«
»Was heißt das?«
»Wir haben keine Seele, die Koseboschkin heißt!«
»Ist das sicher?«
»Worauf sitze ich?« fragte das Mütterchen grob. »Auf meinem Arsch. So sicher wie das ist, gibt es bei uns keinen Koseboschkin …«
Die Milizionäre starrten Tarski an. Ihre Augen verhießen nichts Gutes. Die Post kennt jeden, sagten ihre Blicke. Nun bist du dran, Sergeij Andrejewitsch. Gib eine Erklärung ab, die man glauben kann. Gelingt dir das nicht, stellen wir dir Fragen, die deinen Rücken für immer krümmen. Was du auch im inneren verbirgst – wir trommeln es aus dir hervor. Nun rede endlich, Sergeij Andrejewitsch! Tarski erregte sich nicht. Ganz gelassen blieb er, knöpfte sein Hemd auf und schob die Klappe seines ledernen Brustbeutels hoch. »Oje, da habe ich noch ein Papierchen vergessen«, sagte er dabei. »Die Krankheit macht vergeßlich, liebe Freunde. Gleich hat sich alles aufgeklärt. Wir werden alle zufrieden nach Hause gehen.«
Er griff in den Beutel und faßte mit Daumen und Zeigefinger die kleine Gelatinekapsel. Oberst von Renneberg, dachte Tarski mit einer Art Sarkasmus, ich melde mich ab. Streichen Sie meinen Namen durch. Leutnant Dietrich Semper. Und du, Mutter
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