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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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… ich danke dir für alles, was du mir in meinem Leben gegeben hast. Vater – auch dir Dank für alles …
    Seine Hand zuckte zum Mund und warf die Kapsel in seinen Rachen. Im gleichen Augenblick biß er zu und schmeckte das Bittere. Bittere Mandeln, dachte er. Zyankali. Ein Sekundentod … mein Gott, wie lang kann eine Sekunde sein!
    Die Milizionäre warfen sich über ihn, rissen Tarski zu Boden und schrien durcheinander.
    »Reiß ihm das Maul auf!« brüllte einer. »Das Maul!«
    Sie versuchten es, aber Tarskis Kaumuskeln waren bis zum Bersten gespannt. Die Zähne klebten aufeinander, als seien sie nie zwei Reihen gewesen. Mit den Fäusten hieben die Milizionäre auf Tarskis Kinn, bis einer auf die Idee kam, sein Messer zu nehmen und damit die Zahnreihe aufzubrechen. Man hörte die Kiefer krachen, der Mund klappte endlich auf, der Geruch nach bitteren Mandeln quoll aus dem Gaumen … Tarskis Körper zuckte zwar noch, die Nerven bäumten sich auf, aber er war schon tot, als sein Mund aufgebrochen wurde.
    Hinter dem Schalter hockte das Mütterchen und zerdrückte mit dem Daumen den letzten Rest der großen Pellkartoffel.
    »Was ist denn das?« stotterte sie hilflos. »Genossen, wer wird sich denn so aufregen, nur weil es keinen Koseboschkin bei uns gibt?«
    Dann sah sie den aufgebrochenen Kiefer, die starren weiten Augen von Tarski und den verkrümmten Körper, steckte den Daumen in den Mund und fiel in Ohnmacht.
    Es spricht sich 'rum – weiß der Teufel wie –, wenn ein Inspektor im Dorf ist. Duskow hatte nicht gesehen, daß die alte Frau Alarm gegeben hatte, aber als sie die Eier zusammensuchte, mußte sie irgendwie aus dem Fenster gewinkt haben. Von da an erhob sich eine große interne Geschäftigkeit im Dorf, die Bauern brachten alles in Sicherheit, was nach Unerlaubtem aussehen konnte, und stellten zur Begrüßung des strengen Mannes vorsorglich eine Pfanne bereit, um ihm ein Stückchen Speck zu braten, falls ihn danach gelüstete. Eine Abordnung aus zwei alten Männern stampfte mit schwerem Herzen zu der Hütte, in der gerade der Inspektor den Rest Eigelb vom Teller stippte. Er gebrauchte nicht wie ein ungebildeter Bauer die Zunge, sondern sagte zu dem Mütterchen: »Schneid noch ein Scheibchen Brot ab!« und mit diesem Brotscheibchen wischte er den Teller sauber, als habe man ihn unter der Wasserpumpe gereinigt. Ein feines Herrchen, fürwahr, und bei aller Strenge so menschlich.
    Die Delegation verhielt vor der Hütte, straffte noch einmal die verschlissene Kleidung und klopfte dann an die Tür. Duskow zog den Kopf etwas in die Schultern und schielte kritisch zum Ausgang. Das Mütterchen faltete die Hände und lobte Gott, den gütigen. Verstärkung kam, das Alleinsein mit dem Herrn Inspektor war vorüber.
    »Wer kommt da?« knurrte Duskow.
    »Besuch sicherlich.«
    »Schick ihn weg!«
    »Was soll ich sagen?« Das Mütterchen watschelte zur Tür und hörte, wie hinter ihr der strenge Inspektor mit dem Teller klapperte. »Vielleicht will man Ihnen helfen …«
    »Es weiß keiner, daß ich hier bin.« Duskow stand auf. Er ging zum Fenster und sah draußen die beiden alten Männer stehen. Nervös strichen sie über ihre Schnauzbärte und sprachen flüsternd miteinander. Sie waren nicht bewaffnet und machten nicht den Eindruck, daß sie gekommen waren, den Fremden peinlich auszufragen.
    »Sicher, sicher –«, stammelte das Mütterchen und rang die Hände. »Niemand weiß es. Gott sei mein Zeuge, Sie waren so lautlos wie eine Schneeflocke. Aber auch ein Schneeflöckchen sieht man, wenn's im Sommer fällt …«
    »Laß sie herein!« sagte Duskow. Man muß noch vorsichtiger sein, dachte er. Dieser Vorfall beweist es. Zwei Augen genügen nicht – man muß sich angewöhnen, mit beiden Augen rundum hundertfach zu sehen.
    Er setzte sich wieder an den Tisch, schob die Beine von sich, spreizte sie etwas, was Überlegenheit demonstrierte, und verfinsterte sein Gesicht. Das Mütterchen riß die Tür auf, schrie nach draußen mit schriller Stimme: »Ah! Willkommen! Herein! Herein! Welch brave gute Freunde …«, und gab den Eingang frei.
    Die beiden Alten drängten sich in die Stube, blieben am Türstock stehen und stierten den großmächtigen Inspektor ehrfurchtsvoll an. Da saß er nun, der stirnfaltige Genosse! Aus Moskau kam er sicherlich, ganz bestimmt aber aus Sagorsk … Man sah das sofort. Ein Stadtmensch war er. Diese Haltung, diese Kleidung. Man beachte nur seine Schuhe, und Strümpfe trägt er auch, graublaue

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