Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
knackendes Geräusch erklang. Dann rief eine Stimme mit hartem Ton: »Stoj!«
    Tarski blieb so stehen, wie er war – die Arme erhoben und das Hemd halb über dem Kopf. Stoj … das kannte er. Welcher Russe kannte es nicht? Stoj ist ein Satanswort, wenn man nicht sofort darauf reagiert. Wer ›Stoj‹ ruft, hat immer recht, hat die Macht, kann Schicksal sein. Tarski hatte es oft genug selbst gerufen, wenn er mit seinen Spähtrupps die Schilfdickichte der Pripjet-Sümpfe durchkämmte und die meisterhaft getarnten sowjetischen Maschinengewehrnester aufstöberte. Dann kamen sie heraus, die Arme weit emporgestreckt, graugrün vom Sumpfschlamm, mit flehenden Augen. Wir ergeben uns, Germanskij. Laß uns leben.
    Stoj … das war im Krieg die dünne Grenze zwischen Tod und Überleben.
    Tarskis Herz schlug nicht schneller als vorher. Doch er überlegte rasend schnell, wer da oben auf der Böschung stehen konnte. War's ein Bauer, irgendein Zivilist, so konnte man mit ihm reden. Man konnte sagen: »Was erschreckst du einen nackten Mann, Genosse? Ist es verboten, im Flug zu baden? Habe ich die Fische vertrieben? Wolltest du hier angeln, he, und hast dich gefreut, auf einen saftigen Sudak pomoskowski, was? Und wer kommt statt eines Fisches aus der Lama? Ein nackter Mann! Na, so etwas! Gräm dich nicht, Genosse, ich bin ein sauberer Mensch. Mein Schweiß verjagt keinen Fisch.«
    Tarski zog sein Hemd über, ganz langsam, denn er wußte ja nicht, wie der Mensch da oben reagierte.
    Als er sich bückte und nach der Hose griff, sagte die scharfe Stimme über ihm: »Rühr dich nicht! Komm herauf.«
    »Mit nacktem Unterteil? Genosse, Sie verletzen meine Schamhaftigkeit.«
    Tarski drehte sich um. Oben auf dem Hang standen zwei Milizionäre, die Maschinenpistolen im Anschlag. Die runden Lauföffnungen mit dem dicken Zielkorn darauf sahen häßlich aus, vor allem wenn man weiß, daß in ihnen keine Gnade wohnt.
    Miliz, dachte Tarski. Das ändert völlig die Situation. Du lieber Himmel, wo kommen die bloß her? Wie kann man einen so schönen Sonnentag verderben. Mit der Miliz muß man anders reden, da helfen keine Sprüche.
    Er klemmte seine Hose unter den Arm und kletterte den sandigen Hang hinauf. Einer der Milizionäre half ihm sogar das letzte Stück und zog ihn empor. Hier sah Tarski, daß auf einem Weg, der hinter der Böschung entlanglief, ein Jeep wartete. Ein dritter Milizsoldat saß hinter dem Steuer und grinste zu ihm hin. Der Anblick eines unten herum nackten Mannes mußte zu komisch sein.
    Tarski hielt die Hose vor sein Geschlecht und schaute die Milizionäre traurig an.
    »Wenn ich nun doch die Hose anziehen könnte …«, fragte er. »Man kann sich dann besser unterhalten.«
    »Wo kommst du her?« fragte der eine, der auch stoj gerufen hatte. Er stieß Tarski mit dem MP-Lauf nicht zu hart in die Seite, aber daß er überhaupt zustieß, bewies seinen ungehobelten Charakter.
    »Von Kiew!« antwortete Tarski schnell. »Die Stadt habe ich wieder gesäubert, nachdem die Deutschen zurückgeworfen wurden. Vorher war ich beim 23. Schützenregiment, bis ich das Sumpffieber bekam. Wissen Sie, Genossen, was so ein Sumpffieber ist? Da liegt man ahnungslos im Schilf und plötzlich …«
    »Ausweise!« unterbrach der widerliche Mensch und streckte die Hand hin.
    »Sofort!«
    Tarski kramte aus der Rocktasche seine Papiere. Sie waren imponierend. Ein Militärentlassungsschein mit vielen Stempeln und Unterschriften. Die Unterschriften waren nicht wichtig, man konnte sie doch nicht lesen, und Unterschriften kann jeder auf ein Papierchen setzen. Aber die Stempel! Ein Stempel ist ein Dokument, und viele Stempel sind ein wichtiges Dokument. Das weiß jeder Russe, der jemals mit einer Behörde zusammengestoßen ist.
    Der finstere Milizionär las die Ausweise gründlich, hob das Papier gegen die Sonne, als gäbe es auf dem billigen Kriegspapier Wasserzeichen, blickte dann Tarski mit gerunzelter Stirn an und steckte die Ausweise in seinen Rock.
    »Wohin?«
    »Nach Wolokolamsk, Genosse.« Tarski spürte, daß die Sache nicht harmlos ausgehen würde. »Ich habe gute Ausweise, nicht wahr, Genosse? Sogar ein Stempel der Weißrussischen Front ist dabei. Vielleicht hat Marschall Rokossowskij selbst unterschrieben. Man kann's ja nicht lesen … Durch das Sumpffieber bin ich Invalide, unheilbar. Lesen Sie den Lazarettbericht, Genosse …«
    »Warum schwimmst du im Fluß?« Der Milizionär zeigte mit dem MP-Lauf auf die Hose. Tarski nahm das als Aufforderung,

Weitere Kostenlose Bücher