Sie waren zehn
ist es … Ich mußte dort zwölf Jahre leben.« Er hob die Flasche. Sein Mund riß auf wie eine platzende Wunde. »Es lebe der Sieg!« schrie er. »Es lebe eine Rote Welt! – Gott, wie glücklich bin ich, wenn ich mich bis dahin totgesoffen habe!«
Mit Sepkin gab es einige Schwierigkeiten, die selbst Luka Antipowitsch Puschkin nicht vorhergesehen hatte. Sein Einfluß auf die Patienten war zwar groß, aber bei der Verwaltung der Sklifossowski-Unfallklinik war er eben nur ein Krankenpfleger mit dem Personalkarteiblatt Nummer 309 M. Das M stand für mušhoje otdelenije, was soviel bedeutete wie ›männlich‹. Das war das einzige, was man nicht bestreiten konnte. Alles andere mußte abgelehnt und dann diskutiert werden, denn die Verwaltung der Klinik bestand ja aus Beamten.
Es begann damit, daß Puschkin sehr selbstbewußt seinen künftigen Schwiegersohn Piotr Mironowitsch Sepkin in das Zimmer eines grämlich dreinblickenden Menschen schob und ausrief, als habe er ein neues Land entdeckt: »Hier haben wir den neuen Krematoriums-Arbeiter, Genosse!«
Der verbitterte Mensch hinter dem Schreibtisch musterte Sepkin, wölbte die Unterlippe vor und antwortete: »Das ist ein guter Posten. Aber wir brauchen keinen. Besetzt!«
»Seit wann?« Puschkin schob sich um Sepkin herum und schloß hinter sich die Tür. »Gestern abend noch nicht!«
»Besetzt!« sagte der vergrämte Mensch. »Fragen Sie die Zentrale.«
»Von der kommen wir. Sie ist nicht zuständig.«
»Dann müssen Sie suchen, Genosse. Ich bin auch nicht zuständig.«
Puschkin regte sich nicht auf, er kannte das. Er gab Sepkin einen Stoß in den Rücken, damit er näher an den Schreibtisch heranging, und legte ein zusammengefaltetes Blatt Papier auf die Platte. Der nicht zuständige Genosse betrachtete es mit Widerwillen, als habe Puschkin Kot abgeladen.
»Sind Sie der Leiter des Krematoriums?« fragte Luka Antipowitsch freundlich.
»Ja.« Der widerliche Mensch tippte auf den Zettel. »Was soll das?«
»Es ist eine Wochenkarte für Nährmittel. Kategorie Schwerstarbeiter.«
»Soll sie sich bei mir ausruhen?«
»Ich habe sie gefunden, Genosse.«
»Gefunden?« Der Mann riß die Augen auf. »Aha!«
»Unter Ihrem Schreibtisch, Genosse. Lag da, zusammengefaltet wie jetzt, und schien vergessen zu sein. Ein ehrlicher Mensch, wie ich, denkt: Oje, er wird das Kärtchen morgen bestimmt vermissen. Seine Kinderchen werden rufen: ›Papuschka, warum gibt es keine Graupen zum Essen?!‹ Und er wird antworten müssen: ›Weint mit mir, ihr Lieben – ich habe die Marken verloren!‹ – Das Herz dreht sich einem rum! Da habe ich das Zettelchen aufgehoben, und da liegt es nun!«
Der Leiter des Krematoriums grinste, legte eine Hand über die Lebensmittelmarken, zog sie heran und musterte dabei Sepkin. Puschkin atmete auf. Die erste Verständigung war erreicht.
»Wo kommen Sie her? Name, Beruf?«
Sepkin machte seine Angaben knapp und militärisch. Der muffige Mensch hörte stumm zu, steckte die Lebensmittelmarken ein und lehnte sich zurück. »Von der Front kommen Sie, Genosse! Und Ihre Lunge pfeift. Was – meinen Sie – befähigt Sie dazu, in einem Krematorium zu arbeiten?«
»Ich habe mir vorgestellt, wen ich dort anhuste, den stört es nicht mehr.«
»Außerdem ist er gelernter Käser!« warf Puschkin ein. Der Beamte zuckte schmerzhaft zusammen.
»Wieso?«
»Ich war Spezialist für den berühmten Rundkäse der Käserei von Nowo Karpyrdak. Sicherlich haben Sie schon ein Scheibchen davon gegessen, Genosse.« Sepkin schnalzte mit der Zunge, was bei dem Beamten ein Liderflattern auslöste. »Auf dem Käselaib klebte eine rote runde Marke mit der Aufschrift: Ein Qualitätserzeugnis des Sozialismus. Zweimal ein Diplom! Ha, ein Duft war das, wenn man ihn anschnitt …«
»Das wollte ich erwähnen!« rief Puschkin dazwischen. »Das befähigt Piotr Mironowitsch für die Arbeit im Krematorium: er hat sich an Gerüche von Kind an gewöhnt. Seine Nase ist ledern. Ich sage es Ihnen, Genosse: Er ist der beste Mann.« Der mißgelaunte Mensch stierte Sepkin lange und wortlos an. Dann erhob er sich und sagte: »Man muß sich das noch überlegen. Am Ofen I fehlt ein Mann.«
»Ein wahres Wunder!« jubelte Puschkin. »Da paßt er hin!«
»Eine Woche Probe.«
»Ich möchte Sie umarmen, Genosse!«
»Ohne Bezahlung!« Der widerliche Mensch kratzte sich unter der Jacke am Nabel. »Lohn nach dem Tarif der Heizungsarbeiter und« – er räusperte sich und glotzte Sepkin an wie ein
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