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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Antipowitsch, dachte er. Hier bleibe ich nicht lange. Ich werde mich vom Ofen I emporarbeiten in die lichte Höhe eines Krankenwagenfahrers. Ich muß beweglich sein, ich muß Moskaus Straßen um mich haben, keine amputierten Glieder. Du ahnst ja nicht, weshalb …
    Zischlow zeigte auf einen Haken. »Dort hängen Gummischürze und Handschuhe!« sagte er. »Der Ofen steht unter Dampf. Wird vom Nebenraum aus gefeuert. Hier ist nur der vornehme Teil mit der Brennkammer.«
    »Kommt – kommt jeden Tag so viel herein?«
    »Wir sind die größte Unfall-Klinik Moskaus. In zehn Sälen wird operiert.« Zischlow klopfte Sepkin auf die Schulter. »Man gewöhnt sich daran«, sagte er. »Nur ich kann das nicht. Muß auch härtere Menschen geben als mich.«
    »Und wieso ist die Stelle frei?« fragte Sepkin.
    »Ein Unfall. Dein Vorgänger, ein wortkarger Mensch mit Namen Posnjamkin, hat ein paarmal ohne Handschuhe gearbeitet. Jeder hat ihn gewarnt. Und siehe da – er hat's! Eine Blutvergiftung. Sein eigener Arm lag nachher in der Wanne, aber es war zu spät. Nicht mehr zu retten! Das war vor sieben Wochen. – Vergiß nie die Handschuhe, Piotr Mironowitsch!« Zischlow klopfte ihm noch einmal auf die Schulter und verließ den Raum. Sepkin zögerte, dann griff er zum Haken, schnallte sich die Gummischürze um und zog die langen Gummihandschuhe über. Mit langsamen Schritten ging er zu der gekachelten Bank und den Eimern, Wannen und Bottichen voller menschlichem Abfall. Das erste, was er sah, war der verätzte Kinderarm.
    Die Moskauer Straßenbahnen sind berühmt dafür, daß sie auch bei dreifacher Überbelastung nicht zusammenbrechen. Wer diese Menschentraube auf Schienen einmal gesehen hat, kann verstehen, daß jeder Russe davon überzeugt ist, die Industrie seines Landes verstehe es, auf jedem Gebiet das Beste und Zerreißfesteste zu produzieren.
    Nachdem die Familie Sharenkow eingehend beraten und Väterchen Pawel Ignatiewitsch immer wieder betont hatte, in Kriegszeiten hätten Biologen, die eine künstliche Besamung von Orchideen erforschten, überhaupt keine Verwendungsmöglichkeit für ihre Fähigkeiten, beschloß man, Boranow dem Leiter der Moskauer Straßenbahnen vorzustellen.
    »In meinem Bereich, der Architekturzentrale und Wiederaufbau-Planung, drängeln sich die Leute, treten sich auf die Füße, möchten ihre Umgebung erdolchen, um ein sicheres Plätzchen zu erobern – es ist zum Haareraufen! Überall Protektionisten. Wer einen Namen hat und die richtigen Beziehungen, der schiebt seine lieben Verwandten in die Wiederaufbau-Planung ab. Unmöglich, jetzt auch noch mit dir anzukommen, Kyrill Semjonowitsch! Vielleicht nach dem Krieg! Der Frieden ist ja fast greifbar. Aber bis dahin … Wir wollen sehen, was Lyra Pawlowna ausrichtet.«
    Man muß wissen: Eine große Ehre und eine felsensichere Garantie ist es, bei der Moskauer Straßenbahn beschäftigt zu werden. Wer einmal die Uniform trägt, würde kaum mit einem anderen tauschen. Welch ein Gefühl ist es, täglich Hunderttausende Genossen transportieren zu können, aus allen Richtungen, in alle Richtungen, und zu wissen, daß man nur einen Hebel herumzudrehen braucht, die Bahn bleibt stehen, und man hat in das Schicksal der unterschiedlichsten Menschen eingegriffen.
    Der Genosse Direktor Afanasiew, ein weißhaariger, vornehmer Mann mit dem schön geschnittenen Kopf eines Grusiniers und dem Benehmen eines Edelmannes, empfing Lyra Pawlowna und Boranow mit der Herzlichkeit, die man alten Bekannten entgegenbringt. Durch ein Vorgespräch war er von Lyra orientiert worden. Er drückte Boranow mit vaterländischem Augenleuchten die Hand und sagte:
    »Ein Jammer mit Ihrer Kugel neben der Schlagader! Jetzt könnte man Sie an der Front gebrauchen! Jetzt marschieren wir bis Berlin! Was verpassen Sie alles! Das muß doch weh tun!«
    »Ich schluchze nach innen, Genosse«, antwortete Boranow. Lyra Pawlowna wurde bleich, aber da sie zu weit auseinander saßen, hatte sie keine Gelegenheit, ihn gegen das Schienbein zu treten. »Aber in Gedanken stürme ich mit! Auf jeden Fall möchte ich meinem Vaterland auch hier in Moskau dienen.«
    »Bei der Straßenbahn.«
    »Die Uniform der Roten Armee mußte ich ausziehen – aber wenn ich die Uniform der Straßenbahn …« Boranow unterbrach sich und schluckte, als könne er vor Ergriffenheit nicht weitersprechen. »Ich würde mich einsetzen wie bei einem Sturm auf die deutschen Gräben …«
    Der Genosse Afanasiew war beeindruckt und spürte tiefe

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