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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Frosch – »Einstufung in die Kategorie II der Lebensmittelzuteilung.«
    »Kategorie III, Genosse!« sagte Puschkin schnell. »Piotr Mironowitsch ist ein genügsamer Mensch. Er braucht davon nur die Hälfte …«
    Der Leiter des Krematoriums vermied jede anerkennende Regung. Von jeher beneidete er die Ärzte, Pfleger, Verwaltungsbeamten, Laborangestellten, ja sogar die Krankenträger – sie alle kamen mit dankbaren Kranken in Berührung. In seinem Bereich drückte ihm keiner die Hand (und schon gar nicht legte einer etwas hinein … ), niemand trug Bitten vor, die fast immer nutzvoll verpackt waren … Wenn er sein Krematorium betrat, vor allem die Abteilung Ofen I, überfiel ihn die ganze Trostlosigkeit seiner Aufgabe, und Haß stieg in ihm hoch, zum Beispiel gegen den Genossen Küchenverwalter, der nicht nur wie ein Bulle fraß, sondern auch wie ein Bulle unter Küchenmädchen und Schwestern wütete. Hörte man von ihm, daß er das Krematorium leitete, verzogen sich alle Mienen zu schmieriger Trauer, und er hatte oft das Gefühl, daß man sich die Hände wusch oder sie an der Mauer abrieb, wenn man von ihm weggegangen war.
    »Sie können sofort anfangen!« sagte er von oben herab. »Die Personalabteilung verständige ich. Melden Sie sich bei dem Genossen Zischlow von der Heizbrigade.«
    Ein Tag war das! Puschkin umarmte Sepkin auf dem Flur und rief immer wieder: »Welch ein Glück! Ofen I! Jubeln muß man! Die beste Arbeit ist das! Ist er nicht ein wahrer Schatz, der Genosse Leiter?! Gibt sich zufrieden mit den halben Marken! Du mußt einen großen Eindruck auf ihn gemacht haben, Söhnchen! Hast du gesehen, wie sich seine Brust hob, als du von der Front erzähltest?! Und das mit dem Käse war gut! Er hat sicherlich noch keinen Käse aus Nowo Karpyrdak gegessen. Piotr Mironowitsch, heute ist ein Glückstag!«
    Diese Ansicht war allerdings einseitig. Luka Antipowitsch Puschkin, im Klinikdienst ergraut – wie man so sagt –, sah die Dinge mit anderen Augen als Sepkin. Wer ein Vierteljahrhundert lang hilflosen Kranken noch ein bißchen menschliches Leben verschafft, wer die Toten schon gar nicht mehr zählen kann, die er gewaschen und für die Hinterbliebenen hergerichtet hat, wer das Leid in sich aufsaugt wie ein riesiger Schwamm und ihn dann zu Hause auspreßt mit einigen Gläschen Wodka und fröhlicher Radiomusik, für den ist der Ofen I eine Arbeitsstelle, um die man sich prügeln konnte.
    Sepkin meldete sich also beim Vorarbeiter Gavrilo Kusmanowitsch Zischlow, der in einem furchtbaren, kohlenstaubbedeckten Zimmerchen neben den Heizöfen und den Kohlenkellern hauste. Zischlow sagte: »Endlich kommt einer für den Ofen I. Ich mache ihn jetzt mit, aber gewöhnen werde ich mich nie daran. Mir dreht's den Magen um … man kann nichts dagegen machen. Zu so etwas muß man geboren sein!« Dann musterte er Sepkin und fragte: »Hast du schon mal ein abgeschnittenes Bein gesehen? Oder einen Haufen Gedärme?«
    »Ich komme von der Front!« antwortete Sepkin ahnungsvoll. »Da sieht man viel!«
    Es war so, wie Sepkin plötzlich ahnte. Der Ofen I hatte mit dem Krematorium nur dem Namen und der Verwaltung nach zu tun. Er lag abseits in einem Anbau des Gebäudes, das auch die Großwäscherei beherbergte, besaß einen eigenen Schornstein mit einem Filter, war durch einen Gang mit dem Operationstrakt verbunden und mit weißen Kacheln ausgeschlagen. Auf ebenfalls gemauerten, weißgekachelten Tischen standen große und kleine Eimer, Kübel und Bottiche aus emailliertem Blech oder blinkendem Zink. Das alles war von spiegelnder Sauberkeit, und man hätte denken können, hier sei eine gut geführte Fleischerei, wenn die Fleischstücke in den Behältern nicht abgeschnittene menschliche Gliedmaßen aller Art und Größe, Muskelfasern und Innereien gewesen wären. »Von zwei Operationstagen!« sagte Zischlow und blieb an der Tür stehen. In dem gekachelten Raum war es angenehm kühl im Vergleich zu Zischlows heißer, rußschwarzer Bude. »Ich habe gestern nichts verbrannt. Konnte es nicht. Da drüben, im linken Eimer … ein Kinderarm. Verätzung. Muß so alt sein wie mein Töchterchen. Sieben Jahre. Drei Kinder habe ich, Piotr Mironowitsch. Weggelaufen bin ich, als ich in den Eimer sah. Ich bin Heizer, Kesselfachmann … Für mich eine wahre Erlösung, daß du gekommen bist. Du hast gute Nerven, was?«
    »Ich hoffe es, Genosse.« Sepkin lehnte sich gegen die Kachelwand und atmete stoßweise durch die Nase. Mein lieber Luka

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