Sie waren zehn
immer auf die Orte, die genannt wurden. »Sie rennen!« schrie er. »Oh, wie sie rennen, die Deutschen! Ein Sieg wird das! Sieh dir das an, Fedja: Wenn sie über Minsk hinauskommen, hält uns keiner mehr auf. Wo wollen sie Soldaten herbringen, die Deutschen, he?! Aus Rüben und Kartoffeln können sie keine backen! Verloren sind sie, das sieht man schon heute!«
Alle blieben bis zum Ende des Programms auf. Plejin und Ljudmila liebten sich weiter unter Marschmusik, die Familie Sharenkow diskutierte über einen Lieblingsplan von Vater Pawel Ignatiewitsch, den er seinen ›Lebensplan‹ nannte: Ein Siegestor im griechisch-klassischen Stil, den Propyläen gleich, von ungeheuren Ausmaßen, für die Ewigkeit gebaut, und darauf eingemeißelt die Namen aller sowjetischen Soldaten, eine Ehrentafel für Millionen. »So etwas hat es noch nicht gegeben!« sagte Sharenkow ergriffen von seinen eigenen Bauplänen. »Aber unser herrliches russisches Volk hat es verdient.«
Am lustigsten ging es bei Puschkins her. Luka Antipowitsch opferte aus einem eisernen Bestand hundert Gramm Wodka. Er war von einer so teuflischen Brennart, daß Puschkin das Ende des Rundfunkprogramms nicht mehr klar erlebte, sondern in seinem Sessel hing, Soldatenlieder grölte und dann wie ohnmächtig zusammensank. Es war die Nacht, in der Jelena Lukinischna zum erstenmal zu Sepkin unter die Bettdecke schlüpfen konnte. Sie war noch Jungfrau, und es war schrecklich für Sepkin, bei dieser eine neue Welt für Jelena aufstoßenden Handlung denken zu müssen: Morgen früh haben sie Witebsk erobert …
Die Sonne über Moskau strahlte heller. Zwar war die Versorgung mit den wichtigsten Lebensmitteln zusammengebrochen, aber man hatte jetzt Verständnis, wenn erklärt wurde: Alles an die Front! Unsere tapferen Soldaten brauchen Butter, nicht ihr! Habt ihr nicht Graupen? Reicht nicht der gesalzene Kohl? Und wie ist es mit dem Mehl? Meckert nicht herum, Genossen! Sollen wir die Offensive anhalten, weil den Rettern des Vaterlandes der Magen knurrt?! Sie opfern ihr Leben für euch – euer Opfer ist es, weniger zu fressen! Kein Wort mehr, Genossen!
Die Tage überschlugen sich, auch für die sechs in Moskau Eingesickerten.
Iwanow baute seine Gerüste weiter und wartete darauf, Stalin zu sehen.
Der kleine Plejin schlief sich aus, wenn die Tscherskasskaja im Dienst war, kochte dann das Essen und bereitete sich auf seine einzige Tätigkeit vor: Ljudmila zu lieben, bis sie von selbst sagte: »Ich bin zerbrochen! Kolka, o Kolka, warum können wir nicht wegtauchen und unsere Zeit verlassen?«
Petrowskij hatte sich in Begleitung des Natschalniks vom Montagewerk I, Bogdan Filofejewitsch Iswarin, beim Personalchef gemeldet und tatsächlich eine Stelle als Abnahmefahrer bekommen. Er kam damit in die Kolonne von Larissa Alexandrowna, konnte sie auch während der Arbeit immer sehen und fuhr schon am ersten Anstellungstag neue Traktoren kreuz und quer über eine Fabrikteststrecke. Am Abend des dritten Tages besuchte er mit Larissa die Kollegin mit der Frühgeburt und machte einen Abstecher zu Dr. Speschnikow. Halb betrunken hockte er wieder vor seinem Schachbrett im Wachzimmer und starrte Petrowskij mit wäßrigen, traurigen Augen an.
»Am treuesten ist ein Hund!« sagte er mit schwerer Zunge. »Von einem Menschen, sogar von einem so sympathischen wie Sie, kann man das nicht verlangen. Was wollen Sie?«
»Ich habe das Bedürfnis, Ihnen zuzujubeln, Dr. Speschnikow.«
»Haben die Giftgase aus Ihrem Magen jetzt Ihr Hirn erreicht?«
»Ich habe mich verliebt!«
»Solche Verkrüppelungen kann man wegschneiden.«
»Es ist ernst. Larissa Alexandrowna heißt sie. Sie probiert Traktoren aus.«
»Dann hat sie ja den richtigen Rhythmus im Hintern«, sagte Dr. Speschnikow trocken. »Ihre Röntgenbilder sind übrigens reif für Rom! Man muß sie als Wunder anerkennen! Nicht ein Hauch von einem Ulcus!«
»Aber die Berichte der Militärärzte! Sogar der Generalarzt …«
»Unbegreiflich. Haben die Ihnen immer ihre Uhren auf den Bauch gelegt und mitgeröntgt?«
»Da gibt es keinen Irrtum? Sie sind Frauenarzt …«
»Ich werde doch wohl noch einen Ulcus erkennen können, Luka Iwanowitsch! Der Blick zum Uterus macht nicht blind für höhere Partien! Im Röntgenbild haben Sie einen freien Magen!«
»Und mein fauliges Aufstoßen? Zum Beispiel gestern. Ich spüre es, es steigt in mir hoch, es kriecht die Speiseröhre hinauf, es brennt im Geschlüse …«
»Wo?« fragte Dr. Speschnikow
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