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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Soldat ist zehn Russen wert!« Die Offensive rollte. Ganz Weißrußland war ein einziger Brand, eine riesige Explosionsfontäne, ein Geheul der Granaten und Stalinorgeln, ein Rasseln von Panzerketten und das Urräää-Geschrei aus Hunderttausenden sowjetischer Kehlen. Der tägliche Bericht des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht, verlesen im Großdeutschen Rundfunk und gedruckt in allen Zeitungen, meldete lapidar:
    23. Juli 1944.
    Im Süden der Ostfront scheiterten örtliche Angriffe der Sowjets an der Strypa , nordwestlich Tarnopo und südlich des Pripjet.
    Im mittleren Frontabschnitt haben die Bolschewisten mit den erwarteten Angriffen begonnen. Die auf breiter Front mit Panzer- und Schlachtfliegerunterstützung geführten Angriffe wurden in harten Kämpfen abgewiesen, örtliche Einbrüche in sofortigen Gegenstößen bereinigt. Beiderseits Witebsk sind noch erbitterte Kämpfe im Gange. Auch zwischen Polozk und Novoschew sowie nordöstlich Ostrow führte der Feind stärkere Vorstöße, die erfolglos blieben .
    Örtliche Einbrüche … beiderseits von Witebsk … stärkere Vorstöße bei Polozk … Wer eine Landkarte lesen konnte, dem sträubten sich schon an diesem ersten Tag die Haare. Und während der deutsche Wehrmachtsbericht mit vornehm unterkühlter Sprache die verzweifelte Situation umschrieb, rissen die deutschen Fronten auf mehreren Kilometern auf, strömten die sowjetischen Divisionen hinein und zeichneten sich schon die großen Kessel ab: die rot gezeichneten Stoßkeile, die Iwanow auf seinem Gerüst im Kreml gesehen hatte!
    Auch der sowjetische Rundfunk brachte laufend Nachrichten, unterbrochen von Marschmusik und Volksliedern.
    Sie saßen alle vor den Empfängern und lauschten stumm, begeistert, mit glühenden Augen – oder zutiefst betroffen: Larissa Alexandrowna und Petrowskij, Lyra Pawlowna und Boranow, der schmerzhaft zusammenzuckte, wenn Pawlow Sharenkow nach jeder Siegesmeldung seinen Tee mit synthetischem Zitronenextrakt durch die Luft schwenkte und schrie: »Ein Hoch auf unsere tapferen Soldaten!« Auch Mütterchen Marja Iwanowna, die in Freudentränen ausbrach, und Anja Iwanowna, die Ärztin, bei der Duskow wohnte, nachdem sie von Sagorsk per Bahn nach Moskau gefahren waren, saßen vor dem Gerät, hörten die Nachrichten und kauten trockene Kekse, die Anja aus der Klinik mitgebracht hatte. Sepkin faltete die Hände, als er die Orte hörte, die bereits am ersten Tag überrannt worden waren. Jelena saß hinter ihm und hatte den Kopf auf seine Schulter gelegt, während Luka Antipowitsch, das Väterchen, für sie Brote schmierte. Als Krankenpfleger kommt man auch im Kriegsjahr 1944 an seltene Dinge heran, wie Käse und Schmalz, geräuchertes Fleisch und Gänsefett. Du lieber Himmel, wen kannte der Krankenpfleger Puschkin nicht alles, wer war nicht alles durch seine Station gelaufen und auf sein Wohlwollen angewiesen gewesen. Das ist es nämlich: Liegt man als hilfloser Fleischkloß im Krankenhaus und hat sich mit dem Pfleger verkracht, dann kann man mit den Zähnen im After klappern – es hilft einem keiner. Immer der Reihe nach, wird man angebrüllt – und die Reihe ist lang! Steht man sich aber gut mit dem Genossen, der einem die Flasche anlegt, auf die Pfanne hebt und sogar den Hintern abputzt, der einen zwischen den Beinen wäscht und einem ins Ohr meckert »Nana, dein Frauchen kann aber zufrieden sein …« – wer so einen wichtigen Mann zum Freund gewinnt – und das kann man leicht, denn sie halten immer die Hand auf –, dann lebt man gut in einer Klinik und gesundet schneller.
    Der kleine Plejin lag nackt auf dem Bett, als die ersten Siegesmeldungen im Radio ertönten. Ljudmila Dragomirowna, eine Pause ihrer bisher unterdrückten Leidenschaft ausnutzend zum Braten eines Stückchens Schweinefleisch, das von einer Razzia bei dem Schwarzschlächter stammte, der am Morgen von neidischen Nachbarn verraten worden war, blickte um die Ecke der Küchentür.
    »Jetzt ist es soweit!« rief sie mit ihrer verteufelt singenden Stimme. »Jetzt sind die Deutschen weniger wert als ein Karnickel! Und noch schneller werden sie laufen! Hör gut zu, mein Adlerchen: das ist der Untergang aller westlichen Dekadenz!«
    Iwanow und die Familie Haller saßen in der Küche am Tisch, aßen Pellkartoffeln und Quark mit Schnittlauch und lauschten ergriffen auf die Kommentare der Rundfunksprecher. Väterchen Semjon Tichonowitsch hatte eine Landkarte aus einem Schulbuch herausgerissen und schlug mit dem Löffel

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