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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gesichtern. Blechdosen, verbeulte Kochgeschirre, alte Konservenbüchsen klapperten an ihnen, mit Draht oder einer Kordel an Knöpfen oder Taschen festgebunden, denn das Koppel hatte man ihnen genommen. In der zusammengeballten Masse dieser Gefangenen spiegelte sich die Tragik ihres Schicksal, dokumentierte sich der Untergang ihrer westlichen Welt, wurde die Niederlage Deutschlands klar.
    Aber sie, die gefangenen Soldaten, die Plennys, schlichen nicht dahin wie die Büßer. Die Dreißigerreihen waren fast ausgerichtet, nur der Gleichschritt fehlte. Sie marschierten durch Moskau mit hocherhobenen Köpfen und so festen Schritts, wie es ihre Müdigkeit, ihr Hunger, ihre Hoffnungslosigkeit noch zuließen. Körper an Körper, mit ihrer Reihe eine Mauer bildend, und diese Mauer fortpflanzend über siebenundfünfzigtausend Leiber, mit offenen Gesichtern und wachen Augen, fern aller kriecherischen Angst, eher mit einem im Dreck der Front festgebackenen Stolz marschierten sie über die Straße. Der Boden zitterte und vibrierte unter dem Tritt der siebenundfünfzigtausend; alle zehn Meter liefen mit Schnellfeuergewehren und MP bewaffnete Rotgardisten neben der Kolonne her, eine nur symbolische Bewachung, Parade für die Kameras, und auch die Kosaken auf ihren schäumenden Pferden, die hin und her ritten und wie Hunde wirkten, die eine riesige Schafherde in der Reihe halten mußten, wußten um ihre Wirkung auf den Bildern, die morgen um die ganze Welt gehen würden.
    Endlos, endlos war der Marsch. Kopf an Kopf, Körper an Körper. Staub und Schweiß strömte aus den Uniformen, der Tritt der einhundertvierzehntausend Beine erschütterte Moskau, hing wie eine Glocke in der heißen Sommerluft, wurde von den Häuserwänden zurückgeworfen, dröhnte in das Pflaster, verfing sich in den Wohnungen, deren Fenster man geöffnet hatte, zitterte in den Herzen aller wider, die solches sahen und hörten. Gesicht an Gesicht zog da vorbei, bald geradeaus blickend, bald zur Seite sehend, nicht nur die eigene Schmach, sondern auch diese Stadt wahrnehmend: Moskau, das nie erreichte Ziel ihres Krieges, der nie erfüllte Traum, dereinst statt mit klappernden Blechbüchsen mit klingendem Spiel am Kreml vorbeizumarschieren … Sie sahen in die schweigende oder drohende Menschenmenge, blickten in verzerrte Gesichter, in staunende, verhärtete, neugierige, mitleidvolle, hassende und hohnlachende, aber nie gleichgültige … sie wandten die Blicke wieder ab, starrten dem Vordermann in den Nacken und marschierten … marschierten … marschierten … Einige hundert von den siebenundfünfzigtausend lächelten verschämt, versuchten menschliche Wärme zu empfangen, indem sie so mutig waren und lachten … sie hoben die Köpfe zu den surrenden Filmkameras und den fotografierenden Reportern, lachten zu ihnen hinauf, mit jenem verbissenen Landserhumor, der sich bestätigt, daß man noch lebt, solange man scheißt … oder sie lachten aus verzweifelter Verlegenheit, aus Lebensangst, aus Furcht vor der eigenen Angst …
    Und sie marschierten … marschierten … Dreißig nebeneinander. Mann neben Mann. Dicht aufgeschlossen. Der Schweiß lief ihnen über die Körper, der Schweiß quietschte in den Stiefeln, der Schweiß durchfeuchtete ihre Uniformen. Die Hitze in Moskau, den Asphalt erweichend, zerbrach das bißchen Kraft, das noch in ihnen lebte … aber sie marschierten … marschierten … senkten die Köpfe nicht, blickten in die Menge, hielten Abstand zum Vordermann, richteten sich in der Reihe aus … Denk daran, Kamerad, das ist ein Schauspiel für die Welt: eine geschlagene Armee wollen sie sehen. Das besiegte Deutschland. Den entlarvten deutschen Soldaten.
    Kopf hoch, Kamerad! Blick geradeaus! Ja, es sind 35 Grad in der Sonne, wir marschieren jetzt vier Stunden, zu fressen hatten wir nichts, der Magen dreht sich um und sucht ein Klümpchen Brot, und Durst hast du, die Zunge ist dick und pelzig, die Luftröhre trocknet aus, jeder Atemzug ist wie ein Feuerstoß … Reiß die Knochen zusammen, Kamerad. Marschier! Kopf hoch! Nicht schlappmachen! Nicht hinfallen! Wir nehmen dich in die Mitte, und wenn du die Beine bewegst, denkt jeder, du läufst noch mit … Du lieber Scholli, was würde jetzt passieren, wenn jemand brüllte: Ein Liiied ?
    Humor der Verlorenen.
    Und sie marschierten … marschierten … Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften. Achtzehnjährige Kinder in Uniform, die mit großen Jungenaugen in vergreisten Gesichtern das herrliche Moskau

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