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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bewunderten und ab und zu vergaßen, welchem Schicksal sie entgegenmarschierten … und Familienväter, Männer mit zerfurchten Gesichtern, in die sich Rußland für immer eingegraben hatte; sie traten den Boden unter sich weg, schwenkten die Arme, schoben das Kinn vor und starrten geradeaus. Und jeder Schritt hatte ein Wort, jedes Pendeln der Arme war ein Echo. Durchhalten – Scheiße … durchhalten – Scheiße … durchhalten – Scheiße … Kilometer um Kilometer, Stunde um Stunde, rund und kreuz und quer durch Moskau … siebenundfünfzigtausend deutsche Plennys … siebendundfünfzigtausendmal der einzige Wille: Kopf hoch, Kamerad. Durchhalten!
    Sie marschierten in langen, eingeteilten Blocks. Zwischen jede Kolonne in kriegsstarker Bataillonsstärke ritt eine Reihe Kosaken, paradierten Rotgardisten mit gefällten Gewehren. Es war ein imponierendes Bild der Sieger. Dann folgte eine Reihe deutscher Offiziere. Die Schulterstücke hatte man ihnen gelassen, auch die Ordensbändchen in den Knopflöchern, nur die glitzernden Orden waren ihnen abgenommen worden. Der Krieg war für sie verloren, beendet, die Illusion zerschlagen … aber wie sie da ihren Soldaten voranmarschierten, wie sie jetzt unter dem glühenden Himmel Moskaus Haltung zeigten, das war eine unsichtbare Fahne, der die anderen nachmarschierten.
    Und die Straße bebte, das Dröhnen der Schritte blieb an den Mauern kleben und deckte die Menschen am Straßenrand zu. Pawel Ignatiewitsch Sharenkow war außer sich. Er hob beide Arme, schüttelte die Fäuste, stieß wilde Flüche aus, hüpfte von einem Bein auf das andere, schrie sein Töchterchen Lyra, sein Weib Marja und seinen künftigen Schwiegersohn Boranow an, sie sollten diese Satane von Deutschen anspucken. Und als eine Kolonne, mit einem ergrauten Oberst an der Spitze, fast im Gleichschritt an ihm vorbeimarschierte, verlor er alle Beherrschung.
    »Schweine!« brüllte er. »Mörder! Räudige Hunde! Seht sie euch an! Sie lachen! Sie lachen, die Massenmörder! Schlagt ihnen doch den Schädel ein!« Er stieß den absperrenden Gardisten zur Seite, hüpfte an ihm vorbei, rannte auf die graue Masse der Gefangenen zu, spuckte dem ersten ins Gesicht, schüttelte die Fäuste und ließ sich auch von den Wachmannschaften nicht wegdrängen.
    »Hol ihn zurück …«, sagte Boranow dumpf. Sein Mund zitterte wie in inneren Krämpfen. »Lyraschka, hol ihn zurück …«
    »Jetzt kann man ihn nicht bremsen, Kyrill.«
    »Hol ihn!« schrie Boranow plötzlich. »Oder ich erschlage ihn!«
    Lyra Pawlowna zuckte zusammen, rannte zu ihrem Vater und klammerte sich an ihn. Der rasende Sharenkow wollte sie abschütteln, aber da griffen noch zwei Gardisten zu, zerrten ihn zurück in die Reihe und übergaben ihn Boranow. Sharenkow war wie in einen Wahn gefallen, einen Rausch, in den sich sonst nur Wilde hineinsteigern … er lachte hysterisch, hielt sich an Boranow fest und brüllte ihm ins Gesicht:
    »Welch ein Tag! Welch ein Erlebnis! Ich sterbe vor Freude!«
    Boranow antwortete nicht. Er stieß mit einer schnellen Bewegung seinen Kopf unter Sharenkows Kinn, der entfachte Pawel Ignatiewitsch glotzte ochsenhaft um sich, alle Kraft entwich aus ihm, und er lehnte sich erschlafft an Kyrill Semjonowitsch.
    Nicht weit von ihnen entstand eine neue Bewegung. Eine dicke Frau stürzte auf die Straße, breitete die Arme aus und jaulte auf wie zehn mißhandelte Hunde. Dann stürzte sie in die Knie, faltete die Hände, hob sie hoch empor in den heißen Himmel und betete.
    Und die siebenundfünfzigtausend Deutschen, diese verdreckten, verstaubten, verhungerten, verratenen Plennys marschierten … marschierten … blickten zur Seite, blickten geradeaus, blickten auf Moskaus Bauten, blickten auf Moskaus Menschen, blickten auf die Kosaken und blickten in die Filmkameras. In Tausenden Gesichtern lag eine Andeutung von Freude, den Krieg überlebt zu haben, sowie man auch den Marsch durch Moskau überleben würde. Was vor ihnen lag, entzog sich ihrer Ahnung. Wer durch die Sommersonne geht, denkt nicht an den Schneesturm Sibiriens …
    Am Belorussischen Bahnhof stand der kleine Miliz-Sergeant Plejin und half die Straße abzusperren. Auch Sepkin, Petrowskij, Duskow und Iwanow standen mit ihren Liebsten am Straßenrand und starrten auf die grauen Massen. Luka Antipowitsch Puschkin knirschte schauerlich mit den Zähnen und rollte die Augen, aber er rührte sich nicht vom Fleck.
    »Ich schlage dir den Schädel ein!« hatte Sepkin vorher zu ihm

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