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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Genossen Offiziere, dachte er. Bleibt lange da, liebe Brüderchen! Dementi Jefimowitsch hat viel, viel Hunger.
    Vor dem Mittagessen hörte Oberst von Renneberg das neue Leben der zehn ab. Sie hatten ungestörte Ruhe gehabt, um alles auswendig zu lernen. Ihre Vita, wie Renneberg die erfundenen Lebensläufe vornehm nannte, saß. Es war kein Korsett – das hätte man gemerkt –, es war ihr wirkliches Leben geworden. Da sie von Kindheit an mit russischem Wesen vertraut waren, stellte die ›Umhäutung‹ ihrer Person kaum ein Problem für sie dar. Auch die Zweiteilung machte keine Schwierigkeiten: einmal das Leben des Offiziers (für das La ger in Frankfurt/Oder), zum anderen das kleine Alltagsschicksal eines sowjetischen Bürgers, als der wahnwitzige Marsch auf Moskau begann.
    Zehn einsame Männer mit dem Auftrag, Stalin zu töten.
    Die weitverzweigten politischen Unterströmungen, die pilzartigen Verflechtungen zwischen ›Stalins Tod‹ und ›Hitlers Tod‹ waren ihnen nicht bekannt. Sie würden davon auch nie erfahren.
    Oberst von Renneberg ließ sie einzeln in den Schulungsraum kommen und nahm ihnen das Papier mit dem neuen Lebenslauf ab. Dann fragte er. Wort für Wort, wie beim Abhören von Vokabeln. Ein Frage-und-Antwort-Spiel in russischer Sprache.
    »Ich danke Ihnen, Genosse«, sagte Renneberg nach Beendigung jeder Prüfung.
    Nur bei Solbreit – bei wem sonst! – klappte nicht alles nach Wunsch. Solbreit – Verzeihung: Luka Iwanowitsch Petrowskij – betrat rauchend das Zimmer. Sein Gesicht verzog sich, als er Renneberg am Pult gewahrte. Bevor der Oberst etwas sagen konnte, beschwerte sich Luka Iwanowitsch:
    »Der Machorka ist doch das Beste, Genosse!« rief Petrowskij klagend. »Auch wenn er aus Resten von viermal gerauchten Papyrossi besteht. Man kann ihn ertragen … aber das Papier! Das Papier! Genosse, wie kann man solch ein schlechtes Papierchen verwenden!« Er holte seine ›Vita‹ aus der Tasche. Ein Streifen war abgerissen – als Zigarette gerollt, steckte er zwischen Lukas Lippen. »Der erste Zug – ich schwöre Ihnen, ich mußte mich an die Wand lehnen, sonst wäre ich umgefallen! Die Lunge zuckte wie ein gefangenes Ferkelchen. Mein Vater, ein gütiger, weiser Mann, der Iwan Tichonowitsch Petrowskij, Tischler von Beruf, mit eigener Werkstatt, sagte immer zu uns, seinen Söhnen – wir waren fünf: Ihr könnt Sägespäne oder Sägemehl rauchen, meine Söhnchen, es schmeckt alles, wenn nur das Papier stimmt! – Und hier stimmt das Papierchen nicht, Genosse!«
    »Sie können gehen!« sagte Renneberg und winkte mit beiden Händen ab.
    »Bitte, das Papier!« Luka Iwanowitsch hielt ihm das zerknitterte, beschädigte Blatt hin. »Für Papyrossi ungeeignet.«
    Kurz vor der Abfahrt verbrannte Renneberg die zehn Lebensläufe. Die Asche zerbröselte er und streute sie aus dem Fenster. Ein leichter Sommerwind trug die grauen Ascheteilchen davon.
    Vor dem Eingang des abgesperrten Flügels der Reitschule wartete ein geschlossener Lastwagen. Zwei Obergefreite hockten im Fahrerhaus und äugten nach hinten. Sie hatten den Befehl erhalten, nicht auszusteigen. Die hintere Ladeklappe war heruntergelassen, eine Trittleiter dagegengeschoben. Im Inneren des Lastwagens standen links und rechts zwei lange Bänke. Wenn man die Ladeklappe schloß, war es dunkel. Kein Fenster, keine Lüftung, nur der kleine Schlitz zur Fahrerkabine. Und der war noch vergittert.
    » Det ist 'n dicker Transport«, meinte der Beifahrer, » ick wette, det sind Verurteilte.«
    »In 'ner Offiziersreitschule, du Depp?« Der Fahrer, Obergefreiter mit neun Verwundungen und seitdem nur noch › Av-Heimat ‹, tippte sich an die Stirn.
    »In Frankfurt gibt's 'nen scharfen Knast. Deserteure, Wehrkraftzersetzer, Selbstverstümmler …«
    »Nicht mehr! Die meisten haben schon die Rübe ab …«
    »Vielleicht sind det neue Rüben. Weeßte det ?«
    »Sie kommen!«
    Die beiden blickten um ihr Fahrerhaus. Aus der Tür trat zuerst Hansekamm, dann folgten zehn sowjetische Offiziere. Zuletzt erschien Oberst von Renneberg. Alle kletterten über das Leiterchen in den Lastwagen. Die Ladeklappe wurde geschlossen. Oberst von Renneberg hieb mit der Faust gegen das vergitterte Fenster.
    Abfahren, hieß das. Der Obergefreite starrte den Beifahrer an. »Haste das gesehen?«
    »Bin ick blind? Iwans. Offiziere. Sag ick doch! Neue Rüben!«
    »Die werd'n erschossen oder aufjehängt .« Der Obergefreite ließ den Motor aufheulen. Als er den Gang einlegte, zitterte der

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