Sie waren zehn
ganze Wagen. Das Getriebe röhrte mit seinen zerklüfteten Zahnrädern. »Wohin soll'n wa denn?«
»Nach Frankfurt/Oder.«
»Und dann? Auf die Müllkippe?«
»Befehl erfolgt noch kurz vor Frankfurt.«
»Das sieht mies aus.«
»Sag ick doch.«
Der Lastwagen rumpelte los, fuhr aus dem Hof der Reitschule und schunkelte über die Zufahrtstraße, bis er die Chaussee er reichte. Eberswalde - Freienwalde - Wriezen - Marxwalde - Seelow - Lebus - Frankfurt/Oder. Quer durch die Märkische Schweiz. Ein Land zum Verlieben. Hügel, Seen, Tümpel, Heide, Sand, Kiefernwälder, Birkenhaine, sanfte Hügel – und alles von der Sommersonne blankgeputzt. War es hier, wo Gott am siebten Tage der Schöpfung ruhte und sich sagte, das habe er gut gemacht?
Die zwölf Mann im dunklen Lastwagen sahen von alldem nichts. Sie sprachen gedämpft miteinander, russisch.
Oberst von Renneberg erklärte noch einmal, was in dem russischen Offizierslager auf sie wartete.
Sie blieben, wie vorgesehen, drei Tage im Lager.
Die Lagerleitung, die Bewachungsmannschaften, die interne sowjetische Lagerverwaltung, die Blockältesten, der ›Offizier vom Dienst‹, die Dolmetscher – niemand erfuhr oder erkannte das Geheimnis der zehn. Für die deutschen Bewacher waren es zehn Neuzugänge, abgeliefert vom OKW, anscheinend nach dringlichen Verhören. Oberst von Renneberg sprach eine halbe Stunde unter vier Augen mit dem Chef des Offizierslagers, einem Major.
»Hier sind die Papiere«, sagte er und packte aus seiner Aktentasche einige Protokolle aus. »Die Gefangenen sind eingehend verhört worden. Sie wurden uns von der Heeresgruppe Mitte nach Berlin überstellt, weil man den Verdacht nicht loswurde, daß einige der Offiziere falsche Papiere bei sich haben könnten und in Wirklichkeit, sowohl dem Dienstgrad wie ihrer Aufgabenstellung nach, keine normalen Truppenführer sind.«
»Politische Instrukteure?« fragte der Lagermajor.
»Wir vermuten es. Die Verhöre haben allerdings keinen Ansatz ergeben. Die Burschen halten dicht. Wir haben uns deshalb entschlossen, sie ins Lager einzuweisen. Da wird es sich zeigen. Sind es politische Kommissare, wird Unruhe in das Lager kommen. Es wird heimliche Gruppenbildungen geben, illegale Schulungsstunden. Diese Kerle sind hart und fanatisch.« Renneberg zeichnete bewußt ein düsteres Bild der zehn. Je mehr man sie beobachtet, um so russischer müssen sie sich gebärden, dachte er. Und um so schneller gewinnen sie das Vertrauen ihrer sowjetischen Kameraden. Mehr wol len wir nicht. Wir wollen nur sehen, ob sie ›angenommen‹ werden. Wenn man einen sowjetischen General täuschen kann, dann sollte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn man im Herzen Rußlands, in Moskau, über Kleinigkeiten stolpern würde. Allerdings gerade die kleinen, scheinbar unwesentlichen Dinge werden oft genug zu Stolpersteinen des Schicksals.
Die zehn wurden von ihren gefangenen sowjetischen Kameraden angenommen. Gar nicht erstaunlich war was, daß es Luka Iwanowitsch Petrowskij – also Solbreit – war, der mit seiner großen Schnauze die anfängliche Zurückhaltung der Offiziere besiegte. Neuzugänge, vor allem, wenn sie als Einzeltransport kamen, wurden immer erst ›getestet‹. Die Angst vor Verrätern lauerte in jeder Baracke, nachdem man dreimal erlebt hatte, wie gute Freunde überwechselten zur Wlassow-Armee.
Oberstleutnant Konstantin Dmitrijewitsch Sakmatow, der heimliche Polit-Offizier des Lagers, begrüßte die neuen zehn Genossen mit Handschlag und ließ sich kurz ihr Schicksal berichten.
»Ein armes Volk, diese Deutschen!« sagte Luka Iwanowitsch und spuckte aus. »Ihr Papier ist nicht zu gebrauchen für eine gute Papyrossa. Konstantin Dmitrijewitsch, haben Sie eine anständige Zigarette?«
»Nicht ein Stück, Luka Iwanowitsch. Nur deutsche Ware.«
»Ich speie mir noch die Galle aus!«
So einfach dieser Dialog war, so wirkungsvoll war er auch. Oberstleutnant Sakmatow meldete dem Lagerältesten, Generalleutnant Iswarin: »Alles in Ordnung, Genosse. Die Neuen sind unverdächtig.«
Man trennte die zehn dennoch. Sicherheitshalber. In verschiedenen Baracken bekamen sie ihr Lager zugeteilt. Diese Baracken glichen nicht großen Schlafsälen mit langen Reihen von Etagenbetten, sondern waren in größere Zimmer unterteilt, in denen bis zu zehn Offiziere wohnten. Der Blockführer sorgte dafür, daß die Neuen nie ohne Beobachtung blieben. Niemand durfte das übelnehmen. Der Feind war überall, oft sogar im eigenen Herzen.
Am
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