Sie waren zehn
freigegeben. Und sie steigen in die Luft und wissen, daß sie nie wiederkommen.
Kamikaze. Das ist es! Wie ein japanischer Pilot, der sich als lebende Bombe auf sein Ziel stürzt, um die Stirn das Sonnenband geschlungen.
Nur: Wir sind nicht mit asiatischem Fatalismus geboren worden. Wir haben uns nie gewünscht, Helden zu sein. Es ist nicht unser einziges Ziel, fürs Vaterland zu sterben. Nein! Wir leben viel zu gern. Labitz, du Rindvieh, du kannst noch zurück zu deiner jungen Frau. Zu deinem vier Tage alten Sohn. Sag nein!
Die Stimme von Rennebergs riß ihn empor.
»Wir sind uns einig, meine Herren?«
»Ja!« antworteten die zehn wie im Chor. Hansekamm kam vom Fenster zurück. Väterlich, behäbig, aus der Scholle der Soester Börde gebacken.
»Pause«, verkündete er. »Bis nach dem Mittagessen. Dann sehen wir uns hier wieder. Wir müssen sowjetische Uniformen anprobieren.«
Renneberg und Hansekamm verließen den Schulungsraum. Die zehn blieben zurück. Der kleine Dallburg riß sich den Uniformkragen auf, als ersticke er plötzlich. Poltmann kämmte mit gespreizten Fingern sein blondes Haar. Ranowski suchte in seinen Taschen nach einer Packung Papyrossi. Und Semper sagte wie träumend: »Jetzt ist die Sülze richtig im Geschmack. Das macht dem Gefreiten Hölzerlin keiner nach.«
»Bis nach dem Mittagessen!« Kuehenberg schlug die Fäuste gegeneinander. »Wir brauchen die Stunden, um uns daran zu gewöhnen, daß es uns nicht mehr gibt.«
Die sowjetischen Offiziersuniformen waren nach den durch die Personalakten bekannten Maßen so ausgewählt, daß sie auf Anhieb paßten. Die Organisation, das erkannte man an solchen Kleinigkeiten, lief reibungslos an und würde sich bewähren bis zum Sprung in den russischen Nachthimmel. Oberstleutnant Hansekamm, der für die zehn offensichtlich die Funktion des Familienoberhauptes übernommen hatte, war begeistert, als er sie in den Uniformen sah. »Wie so ein bißchen Tuch doch gleich den Menschen verändert!« rief er und lief um die zehn herum. »Vollendete Russen! Nur Sie, Poltmann, fallen aus dem Rahmen. Ihre zärtlichen Locken …«
»Es gibt genug hellblonde Russen!« In Poltmanns Stimme schwang Panik mit. Bloß nicht meine Locken, dachte er. Ihr könnt alles mit mir anstellen – nur schneidet mir keine Glatze!
»Nur kürzen, Poltmann«, sagte Hansekamm gütig, als müsse er ein trauriges Kind streicheln, dem man sein Spielzeug zerbrochen hat. »Es wächst ja wieder nach. Nur in Rußland sollten Sie nicht mit flatternden Löckchen herumspringen. So unauffällig wie möglich – das ist die beste Garantie des Erfolges. Später dürfen Sie Ihre Locken wieder zärtlichen Frauenhänden anvertrauen.«
Später, dachte Hansekamm. Gibt es für die zehn noch ein Später? Er vermied es, die Männer anzublicken. Eine fremde Sentimentalität befiel ihn. Da stehen sie und wissen, was sie erwartet. Was man von ihnen verlangt, ist das wahnwitzigste Unternehmen dieses Jahrhunderts. Aber keiner tritt vor und sagt: Ich mache das nicht mit! Sie stehen da und rauchen Papyrossi, tragen seit ein paar Minuten russische Uniformen und sind voller Erwartung vor dem, was noch kommen wird.
Ist das nun Heldentum? Sturheit? Blinder Gehorsam? Offiziersehre? Nervenkitzel? Ehrliche Begeisterung? Fatalismus? – Man sollte sie fragen, nicht in der Gemeinschaft, vielleicht einzeln, unter vier Augen, wie ein Beichtvater: Junge, warum tust du das so klaglos? Die Antwort wird immer sein: Ob an der Front oder auf einer Straße in Moskau – es kann überall passieren. Wir haben Krieg.
Ist das eine Erklärung?
Oberst von Renneberg kam in den Schulungsraum geschossen, als habe er draußen angesetzt, die Tür einzurennen, und die habe sich plötzlich geöffnet. Er bremste vor dem kleinen Pult und warf einen dünnen Schnellhefter auf die Platte.
»Neueste Nachrichten von der Normandie: Die Invasionstruppen haben fünf Strandabschnitte fest in der Hand. Die Luftlande-Korps haben Inseln gebildet und operieren in unserem Rücken. Sie werden durch Lastensegler und Fallschirme laufend mit Material versorgt. Drei SS-Panzer-Divisionen rücken zur Entlastung heran. Aber bis sie am Ort sind, ist die zweite Welle gelandet. Es dürften dann ungefähr einhundertsiebzigtausend Alliierte an der Küste sein.«
»Canaris-Zahlen«, sagte von Ranowski.
»Die stimmen meistens.« Renneberg betrachtete die zehn und war zufrieden. »Wir machen morgen einen kleinen Betriebsausflug nach Frankfurt/Oder. Bis dahin haben
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