Sie
geschlagen, aber dies wird sein letzter Versuch sein. Die Zuschauer halten gebannt den Atem an...«)
Er schloss die Augen, die Stimme des Sportreporters wurde schwächer, während er angestrengt auf die leisen Geräusche der Haarnadel im Schloss hörte. Jetzt! Er spürte Widerstand! Die Zuhaltung! Er konnte sehen, wie sie da drinnen lag wie die gekrümmte Kufe eines Schaukelstuhls, auf die Zunge des Schlosses drückte und sie festhielt, ihn festhielt.
Ein Kinderspiel, Paul. Nur ruhig bleiben.
Wenn man solche Schmerzen hatte, fiel es einem schwer, ruhig zu bleiben.
Er hielt den Türknauf mit der linken Hand - um das zu bewerkstelligen, musste er unter dem rechten Arm durchgreifen - und begann, sanften Druck auf die Haarnadel auszuüben. Noch ein kleines bisschen … noch ein kleines bisschen …
In Gedanken konnte er sehen, wie sich der Kipphebel in seinem staubigen kleinen Alkoven bewegte, er konnte sehen, wie die Zunge des Schlosses zurückwich. Sie musste nicht bis zum Anschlag zurück, gütiger Himmel, nein, es war unnötig, gleich den ganzen Schaukelstuhl umzustoßen, um bei Tom Twyfords Vergleich zu bleiben. Es reichte der Augenblick, wenn das Schloss frei war … dann ein Ruck …
Die Nadel fing gleichzeitig an, sich zu biegen und abzurutschen. Er spürte es und drückte in seiner Verzweiflung so fest er konnte nach oben, drehte den Knauf und drückte gegen die Tür. Er hörte ein Schnappen, als die Nadel brach und ein Teil ins Schloss hineinfiel, und er dachte einen dumpfen Augenblick über seinen Misserfolg nach, bevor er feststellte, dass sich die Tür langsam öffnete und die Zunge des Schlosses aus der Platte herausragte wie ein Stahlfinger.
»Christus«, flüsterte er. »Christus, ich danke dir.«
Sehen wir uns die Wiederholung an!, brüllte Warner Wolfe überschwänglich in seinen Gedanken, während Tausende im Annie-Wilkes-Stadion - ganz zu schweigen von den Millionen an den heimischen Fernsehgeräten - in donnernden Beifall ausbrachen.
»Nicht jetzt, Warner«, krächzte er und begann mit der langwierigen und erschöpfenden Tätigkeit, den Rollstuhl so zu manövrieren, dass er damit durch die Tür fahren konnte.
31
Er erlebte einen schlimmen - nein, nicht nur schlimmen, einen grässlichen, entsetzlichen - Augenblick, als es so aussah, als würde der Rollstuhl nicht durch die Tür passen. Er war nicht mehr als fünf Zentimeter zu breit, aber das waren fünf Zentimeter zu viel. Sie hatte ihn zusammengeklappt hereingebracht, deshalb hast du ihn zuerst für einen Einkaufswagen gehalten, informierte ihn sein Verstand niedergeschlagen.
Schließlich gelang es ihm doch noch, sich durchzuquetschen - gerade so -, indem er sich direkt vor die Tür stellte und dann die Hände ausstreckte, sodass er sich am Türrahmen festhalten und heranziehen konnte. Die Naben der Räder schabten am Holz, aber es gelang ihm hinauszukommen.
Danach wurde ihm wieder schwarz vor Augen.
32
Ihre Stimme redete durch den Nebel auf ihn ein. Er öffnete die Augen und sah, dass sie eine Flinte auf ihn gerichtet hatte. Ihre Augen blitzten wütend. Speichel glänzte feucht auf ihren Zähnen.
»Wenn Sie Ihre Freiheit so sehr wollen, Paul«, sagte Annie, »dann werde ich sie Ihnen gern gewähren.«
Sie zog beide Hähne zurück.
33
Er zuckte zusammen und wartete auf den Knall der Flinte. Aber selbstverständlich war sie überhaupt nicht da; sein Verstand hatte den Traum bereits als solchen erkannt.
Kein Traum - eine Warnung. Sie könnte jederzeit zurückkommen. Jederzeit.
Das Licht, welches durch die halb offen stehende Badezimmertür hereinfiel, hatte sich verändert; es war heller geworden. Es sah nach der Mittagssonne aus. Er wünschte sich, die Uhr würde schlagen, damit er wusste, wie spät es wirklich war, aber die Uhr blieb hartnäckig stumm.
Beim letzten Mal ist sie fünfzig Stunden weggeblieben.
Das ist sie. Und dieses Mal könnte sie achtzig wegbleiben. Du könntest den Cherokee aber auch in fünf Sekunden vorfahren hören. Falls du es nicht weißt, mein Freund, die Meteorologen können zwar Tornadowarnungen ausgeben, aber wenn es darum geht zu bestimmen, wann und wo sie genau zuschlagen werden, dann wissen sie einen Scheißdreck.
»Weiß Gott«, sagte er und rollte den Rollstuhl zum Bad. Er sah hinein und erblickte einen schlichten Raum mit weißen, sechseckigen Fußbodenkacheln. Eine Badewanne auf Tatzenpfoten stand darin, unter dem Wasserhahn verliefen rostige Spuren. Daneben stand ein Wäscheschrank.
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