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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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war.
    Er warf den Kopf zurück und heulte, die Adern an Stirn und Nacken traten deutlich vor. Schmerzen explodierten in seinem Knie und hüllten ihn ein, weiß, grell strahlend, wie das Zentrum einer Supernova.
    Sie riss die Schreibmaschine von dem Brett und stellte sie knallend auf den Kaminsims, wobei sie das schwere, metallene Gehäuse hob, als wäre es ein leerer Pappkarton.
    »Sie werden einfach hier sitzen bleiben«, sagte sie und zog die Lippen zu dieser eingefrorenen Grimasse zurück, »und Sie werden darüber nachdenken, wer hier das Sagen hat, und was ich alles tun kann, um Ihnen Schmerzen zuzufügen, sollten Sie versuchen, mich zu übertölpeln oder auszutricksen. Sie werden hier sitzen, und Sie können gern schreien, wenn Sie möchten, weil niemand Sie hören wird. Niemand kommt hierher, weil alle wissen, dass Annie Wilkes verrückt ist, sie wissen alle, was sie getan hat, auch wenn sie mich freigesprochen haben.« Sie ging erneut zur Tür und drehte sich abermals um, und er, in Erwartung eines neuerlichen Angriffs, schrie wieder, was ihr Grinsen noch breiter machte.

    »Ich will Ihnen noch etwas sagen«, meinte sie leise. »Die denken, ich sei damit davongekommen, und sie haben recht. Denken Sie darüber nach, Paul, während ich in der Stadt bin und Ihr bedummdusseltes Papier kaufe.«
    Sie ging hinaus und schlug die Zimmertür so heftig zu, dass das ganze Haus erzitterte. Dann hörte er, wie das Schloss klickte.
    Er lehnte sich am ganzen Leib zitternd im Rollstuhl zurück, versuchte, nicht zu zittern, weil das schmerzte, aber er konnte es nicht verhindern. Tränen rannen seine Wangen herab. Immer wieder sah er sie durch das Zimmer stürmen, immer wieder sah er, wie sie die Faust auf die zerschmetterten Überreste seines Knies niederkrachen ließ, mit der Kraft eines zornigen Betrunkenen, der mit aller Wucht auf eine Eichentheke einschlägt; immer wieder wurde er von dieser schrecklichen blauweißen Nova des Schmerzes verschluckt.
    »Bitte, Gott, bitte«, stöhnte er, als draußen der Cherokee mit einem Poltern und einem Brüllen angelassen wurde. »Bitte, lieber Gott, bitte - hol mich hier raus oder töte mich … hol mich hier raus oder töte mich.«
    Das Brüllen des Motors entfernte sich die Straße hinunter, und Gott tat weder das eine noch das andere, und er war seinen Tränen und den Schmerzen überlassen, die mittlerweile zur Gänze erwacht waren und durch seinen Körper wüteten.

30
    Viel später dachte er, dass die Welt, in ihrer nimmermüden Perversion, das, was er als Nächstes unternahm, wahrscheinlich als Heldentat einstufen würde. Und er hätte es wahrscheinlich zugelassen - aber tatsächlich war sein Vorgehen nichts weiter als ein allerletzter Versuch der Selbsterhaltung.
    Undeutlich schien er die irrwitzig enthusiastische Stimme eines Sportreporters zu hören - Howard Cosell oder Warner Wolfe oder vielleicht der ständig ausgeflippte Johnny Most -, der die Szene beschrieb, als wären seine Bemühungen, an ihren Medikamentenvorrat heranzukommen, bevor die Schmerzen ihn umbrachten, ein seltsames Sportereignis - vielleicht ein probeweiser Ersatz für Monday Night Football . Wie sollte man eine solche Sportart überhaupt nennen? Wettlauf zur Droge?
    »Ich kann einfach nicht glauben, welche Courage dieser Sheldon heute aufbringt!«, ereiferte sich der Sportreporter in Paul Sheldons Kopf. »Ich glaube nicht, dass irgendjemand im Annie-Wilkes-Stadion - oder daheim an den Bildschirmen - gedacht hätte, dass er auch nur die geringste Chance hat, diesen Rollstuhl in Gang zu bringen, nach dem Schlag, den er einstecken musste, aber ich glaube … ja, so ist es! Er bewegt sich! Schauen wir uns einmal die Wiederholung an!«
    Schweiß rann ihm an der Stirn hinab und lief stechend in seine Augen. Er leckte sich eine Mischung aus Salz und Tränen von den Lippen. Das Zittern wollte nicht aufhören. Die Schmerzen waren wie das Ende der Welt. Er dachte: Es kommt der Punkt, da wird selbst die Erörterung des
Schmerzes überflüssig. Niemand weiß, dass es Schmerzen dieses Ausmaßes auf der Welt gibt. Niemand. Es ist, als wäre man von Dämonen besessen.
    Einzig und allein der Gedanke an die Tabletten, an das Novril, welches sie irgendwo im Haus aufbewahrte, trieb ihn an. Die abgeschlossene Schlafzimmertür … die Möglichkeit, dass sie die Drogen gar nicht unten im Badezimmer aufbewahrte, wie er vermutete, sondern sie irgendwo versteckt hatte … die Möglichkeit, dass sie zurückkommen und ihn ertappen

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