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Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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Bruchstücke lagen überall auf dem Boden zerstreut; der Knauf war herausgerissen, nicht abgetreten worden. Doyle lehnte sich an die Wand und lauschte atemlos. Als er sicher war, daß sich drinnen nichts rührte, schob er die Tür mit einer leichten Berührung auf und starrte fassungslos auf das sich ihm bietende Bild.
    Jeder Quadratzentimeter des Zimmers sah aus, als hätte man ihn mit einer klaren, zähen Flüssigkeit getränkt; gestreift und strukturiert, als wäre ein riesiger Pinsel wie wahnsinnig vom Boden zur Decke bewegt worden. In der Luft hing der Geruch angesengter Matratzen. Dort, wo die Substanz am dicksten war, quoll träger Rauch auf. Als Doyle eintrat, spürte er, wie der Schleim unter seinen Schuhsohlen schmatzte, doch als er einen Fuß hob, blieb an ihm kein Rückstand haften. Das Zeug bewegte sich, wenn man es berührte, es hatte Masse, doch seine Kruste blieb intakt. Doyle konnte das tessellierte Muster seines Perserteppichs im Inneren der Substanz wie einen in Bernstein erstarrten Skarabäus erkennen. Er untersuchte den Sessel und den kleinen Sekretär. Den Beistelltisch, die Öllampe, die Ottomane. Kerzenleuchter. Tintenfaß. Teetasse. Die Oberfläche jedes einzelnen Gegenstandes in diesem Raum hatte sich partiell verflüssigt, war dann abgekühlt und hatte sich wieder gehärtet. Wenn es eine Warnung war - er zog diese Schlußfolgerung unausweichlich -, was genau wollte man ihm damit zu verstehen geben? Wollte man vielleicht die Frage ins Spiel bringen, welchen Schaden man auf diese Weise einem menschlichen Körper zufügen konnte? Doyle nahm eins der Bücher vom Schreibtisch auf. Es schien das gleiche Gewicht zu haben wie früher, doch es gab in seiner Hand nach, als hätte es keinen Rücken. Es war weich wie verkochtes Gemüse. Zwar ließen sich die monströs verdickten Seiten noch umblättern, und auch der verwaschene, grotesk verzerrte Text war noch irgendwie zu entziffern, doch es lag schlaff in seiner Hand und ähnelte nur noch aus der Ferne der allgemeinen Vorstellung dessen, was ein Buch zu einem Buch machte.
    Doyle begab sich, so schnell der schlüpfrige Boden es erlaubte, in Richtung Schlafzimmer. Als er die Tür öffnete, klappte die obere Ecke wie ein Eselsohr nach hinten. Er sah, daß die seltsame Flüssigkeit einige Zentimeter weit in den Nebenraum eingedrungen und dann abrupt zum Stillstand gekommen war: Sein Schlafzimmer war der Erniedrigung entgangen.
    »Gott sei Dank«, murmelte Doyle.
    Er zerrte die Gladstone-Reisetasche aus dem Schrank, warf das rückgratlose Buch, Wäsche zum Wechseln, sein Rasierzeug und die Munitionsschachtel hinein, die er in einem oberen Fach des Schranks versteckt hielt.
    Als er wieder durch den malträtierten Raum ging, blieb er an der Wohnungstür stehen. Da draußen war jemand. Er hörte ganz deutlich das Scharren eines Schuhs. Doyle bückte sich, um durch das gewaltsam vergrößerte Schlüsselloch zu sehen, und erblickte die Petrovitch, die sich über das Geländer beugte und die Hände auf ihren flachen Busen gepreßt hielt.
    »Mrs. Petrovitch, was ist hier passiert?« fragte er, als er in den Hausflur hinaustrat.
    »Doktor ...«, sagte sie und griff ängstlich nach seiner ausgestreckten Hand.
    »Haben Sie irgend etwas gesehen? Haben Sie hier unten irgend etwas gehört?«
    Sie nickte nachdrücklich. Er wußte nicht genau, wie gut ihr Englisch war, aber wie es schien, war es zumindest im Moment äußerst unzureichend.
    »Groß, groß«, rief sie aufgeregt. »Eisenbahn.«
    »Ein Geräusch wie ein Zug?«
    Sie nickte erneut und machte den Versuch, das Geräusch nachzuahmen, das sie mit einer Reihe übertriebener Gesten begleitete. Sie hat schon wieder getrunken, dachte Doyle, nicht wenig verärgert. Als er an ihr vorbeischaute, sah er eine fremde Frau, die auf der nach unten führenden Treppe zurückgeblieben war. Das andere Gesicht, das er aus dem Fenster hatte blicken sehen; eine untersetzte, kleine Frau mit durchdringendem Blick. Irgend etwas an ihr kam ihm bekannt vor.
    »Meine liebe Mrs. Petrovitch, haben Sie ... irgend etwas
gesehen?«
    Ihre Augen wurden groß und rund, als sie mit den Händen den Umriß einer riesigen Gestalt nachzeichnete.
    »Groß? Sehr groß?« versuchte Doyle ihr zu helfen. »War es ein Mann?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Schwarz«, sagte sie einfach. »Schwarz.«
    »Mrs. Petrovitch ... Gehen Sie in Ihre Wohnung. Bleiben Sie dort. Kommen Sie vor morgen früh nicht wieder herunter. Verstehen Sie mich?«
    Sie nickte, doch

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