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Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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dann, als er sich zum Gehen wandte, zupfte sie an seinem Ärmel und deutete auf die Frau am Treppenabsatz. »Meine Freundin ist ...«
    »Ich werde Ihre Freundin ein anderes Mal kennenlernen«ffsagte Doyle und streifte ihre Hand freundlich ab. »Tun Sie bitte, was ich Ihnen gesagt habe, Mrs. Petrovitch. Ich muß jetzt wirklich gehen.«
    »Nein, Doktor ... Nein, sie ...«
    »Gönnen Sie sich jetzt etwas Ruhe. Trinken Sie ein Gläschen Wein. Lassen Sie es gut sein, Mrs. Petrovitch. Und nun gute Nacht. Gute Nacht.« Er eilte die Treppe hinunter und verschwand aus ihrem Blickfeld.
    Doyle nahm nicht nur den Weg durch die geschäftigsten Straßen, sondern wählte auch ihre jeweils belebteste Seite. Er suchte das Licht und tauchte nach Möglichkeit in der dichtesten Menge unter. Niemand näherte sich ihm, niemand sprach ihn an. Obwohl er den Blicken der Menschen auswich, spürte er das Brennen tausend bösartiger Augen.
    Er verbrachte den Rest der Nacht im St. Bartholomew Hospital, wo er bekannt war, doch er schlief nur eine Stunde auf einer der für diensttuende Ärzte reservierten Pritschen in einem Raum, in dem er von einem Dutzend anderen umgeben war, auch wenn ihm keiner von ihnen die Sicherheit einer Zuflucht zu bieten vermochte. Seiner grundlegenden Redlichkeit gemäß, vielleicht auch aus Furcht, verspottet zu werden, sprach er mit niemandem, nicht einmal mit den engsten Kollegen, über seine Probleme.
    Bei Tageslicht besehen wirkte das Abenteuer vom vergangenen Abend irgendwie klarer. Es muß, redete Doyle sich ein, für alles, was während der Seance passiert ist, eine eindeutige physikalische Erklärung geben. Ich bin nur noch nicht auf sie gestoßen. Nein, halt. Selbst dies ist eine Täuschung, der ich mich hingebe. Der Verstand ist abhängig vom Gleichgewicht und sucht um jeden Preis danach. Es bedeutet zwar nicht, daß ich alles, was Sacker mir erzählt hat, für das Evangelium halte, aber es ist die ungeschminkte Wahrheit, daß ich durch eine Tür gegangen bin, die hinter mir verschwunden ist, also kann ich nicht zurückkehren. Deswegen muß ich vorwärts gehen.
    Als er in die kühle Morgenluft hinaustrat, spürte er, wie sein hilfloses Entsetzen von ihm abfiel und der Wut über den brutalen Mord an Lady Nicholson und ihrem Bruder wich. Dennoch, er konnte ihr Gesicht einfach nicht vergessen; ihren flehentlichen Blick, den Schrei, als sie gefallen war. Sie hat um meine Hilfe ersucht, und ich habe versagt. Und er schwor sich: Das wird mir nicht noch einmal passieren.
    Trotz Sackers Rat war sein erster Haltepunkt nach dem Verlassen des Krankenhauses an diesem Morgen Scotland Yard.
    Eine Stunde später traf Doyle zusammen mit Inspektor Claude Leboux in der Cheshire Street Nummer 13 ein. Auch das fahle, schmutzige Sonnenlicht trug nicht dazu bei, den Ort zu erhellen; es betonte nur seine beklemmende Neutralität.
    »Du sagst also, sie sind hier hineingegangen?« fragte Leboux. Doyle nickte. Er hatte seinem Freund die Einzelheiten der Angelegenheit erspart. Doch das Wort
Mord
hatte er klugerweise wirklich ausgesprochen. Er hatte Leboux Lady Nicholsons Brief gezeigt. Die Geister, die Vermummten und den blauen Zwirn hatte er noch nicht erwähnt. Auch nicht Professor Sacker.
    Leboux ging als erster die Treppe hinauf und klopfte an.
    Er war ein Mann, der an einen breitschultrigen Ochsen aus den Midlands erinnerte. Ein leuchtend roter Schnauzbart war der einzige dekorative Schnörkel, den er sich erlaubte. Er war jedoch makellos gepflegt und so beeindruckend, daß er jede andere individuelle Besonderheit überflüssig machte. Doyle hatte gemeinsam mit Leboux ein Jahr als Schiffsarzt auf einem Marinekutter verbracht, der nach Marokko und zu den Häfen im Süden gefahren war. In dieser Zeit hatte ihre Freundschaft schrittweise gekeimt. Leboux verkörperte gewissermaßen die Royal Navy, war fünfzehn Jahre älter, ansatzweise gebildet und ein Mensch, dessen zurückhaltende Art dazu geführt hatte, daß er von den Raffinierteren an Bord regelmäßig unterschätzt wurde. Doch wie Doyle im Laufe zahlreicher Kartenspiele und Unterhaltungen in der Bugtakelage entdeckt hatte, während sie träge durch tropische Kalmenzonen gesegelt waren, verbarg Lebouxʹ Schüchternheit lediglich ein empfindsames Herz und einen Charakter von niemals schwankender Moral. Sein Verstand verließ nur selten die parallelen Gleise von Fakt und Wahrheit er war sogar stolz auf seinen Mangel an Fantasie. Und so hatte ihn das Gleis geradewegs von der

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