Sieben
über die schwankenden Kornreihen direkt vor dem Weg und blickte auf die Gleise. Aber auf ihrem Kopf war keine Dornenkrone. Das waren eindeutig Hörner, konisch zulaufend, spitz und gewunden. In Doyles Erinnerung blitzte das eingravierte Ungeheuer auf, das er auf der Glasschale in der Cheshire Street 13 gesehen hatte. Dies hier war, wenn ihn die Erinnerung nicht trog, nahezu das gleiche Bild.
Als die Passagiere die Ungeheuerlichkeit der Szenerie erfaßt hatten, wurde zunehmend die Ansicht laut, man solle eine Fackel an diese blasphemische Zurschaustellung halten, doch bevor es zu einer organisierten Aktion kam, ertönte die Pfeifeffund als der Zug Fahrt aufnahm, fiel der scheußliche Anblick rasch zurück. Als letztes sah Doyle, daß einer der Knechte mit einem Schießeisen auf das Pferd zuging, während der Junge verzweifelt protestierte.
Nachdem die Inderin Doyle einen langen Blick zugeworfen hatte den sie niederschlug, als er ihn erwiderte -, wandte sie sich wieder ihrer Lektüre zu. Der Rest der zweistündigen Reise verlief ohne Zwischenfälle.
Da war das Plakat. Und dazu das Foto, falls es noch Zweifel gab: Es war direkt vor dem Bahnhof von Cambridge an eine Säule angeklebt.
HEUTE ABEND: VORTRAG. THEOSOPHISCHE GESELLSCHAFT. H. P. BLAVATSKY.
Acht Uhr abends, im Gildensaal am Marktplatz. Nun, da Doyle genau wußte, wo sie um welche Zeit war, und da ihm noch vier Stunden verblieben, machte er sich auf zum Kingʹs College und zu Professor Armond Sackers Büro.
Das fahle Licht des Nachmittags fing gerade an zu verblassen. Doyle folgte dem Weg an der Marsch entlang, die direkt am River Cam lag, dann ging es die Kingʹs Parade hinunter zum Zentrum der Altstadt. Er schob den dicken Schal wegen des frischen Windes, der über die breite, offene Seitenstraße wehte, höher. Diesen Weg war Charles Darwin als Student gegangen. Ebenso wie Newton, Byron, Milton, Tennyson und Coleridge. Die altehrwürdigen Colleges erinnerten ihn an seine jugendliche Enttäuschung, da die bescheidenen Lebensumstände seiner Familie es erforderlich gemacht hatten, die finanziell weniger anspruchsvolle Universität von Edinburgh zu besuchen. Die Nachteile, die das Erwachsenwerden in einem Klassensystem hervorbrachten, erzeugten in seinem stolzen Herzen noch immer kleine Wellen des Unbehagens.
Gegenüber der bürgerlichen St. Mary's Church stand die großartige klassizistische Fassade des King's College. Doyle schritt durch ein Pfefferkuchen-Torhaus und stellte fest, daß der Hof völlig verlassen war. Und die Dunkelheit sank schnell hernieder.
Als er das einzige Gebäude betrat, in dem Licht schien, hörte er ein schlurfendes Geräusch und ein schnaufendes Pusten, das ihn an den Eingang einer scheinbar langen Bibliothek zog. Ein hutzeliger Angestellter schob auf einem gigantischen Wägelchen Bücher in einem scheinbar ziellosen Muster zwischen den Regalen umher. Sein Gesicht war tückisch, rot und lief spitz zu, und das verschlagen wirkende schwarze Gewand und die schiefsitzende Perücke schienen seine vertrocknete Gestalt förmlich zu verschlingen.
»Verzeihung, könnten Sie mir vielleicht den Weg zu Professor Sacker weisen?«
Der Angestellte schnaubte erneut und beachtete ihn nicht. »Professor Armond Sacker«, sagte Doyle, beträchtlich lauter werdend. »Altertum. Hauptsächlich Ägyptisch. Und etwas Griechisch ...«
»Herr im Himmel, Mann!« Der Angestellte nahm ihn aus den Augenwinkeln wahr und machte einen Satz zum Wagen zurück, wobei er sich ängstlich an die Brust faßte.
»Tut mir schrecklich leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken ...«
»Da ist eine Glocke!« brüllte der Angestellte. »Sie müssen die Glocke ziehen!« Er machte einen Versuch, Haltung zu gewinnen, indem er sich gegen den Wagen lehnte, doch seine unkörperliche Masse reichte aus, um die Räder dazu zu bringen, leicht nach hinten zu rollen. Daraus folgte, daß Mann und Wagen sich langsam von Doyle durch den langen Bibliotheksgang entfernten.
»Tut mir leid«, sagte Doyle, »aber ich habe keine Glocke gesehen.«
»Was ist nur mit der Jugend von heute los? Früher hatten die Studenten noch Respekt vor der Autorität!«
Das rührt von der Angst vor körperlicher Züchtigung, war Doyle verlockt zu sagen. Der Angestellte schob den Wagen lahm vor sich her und zog sich weiter zurück. Er war noch immer nicht fähig, das Gleichgewicht zurückzuerlangen. Doyle blieb ihm auf den Fersen.
»Vielleicht sollte man die Glocke so aufhängen«, baute Doyle dem Mann eine
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